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Dieses Album wäre niemals mit Kettcar entstanden – Marcus Wiebusch im Interview

Marcus Wiebusch (Credit Jan Freitag/MusikBlog)Nach elf Jahren Punkrock und ebenso langer Zeit als Sänger der Gitarrenpopband Kettcar wandelt der Hamburger Musterschüler Marcus Wiebusch nun erstmals auf Solopfaden. Manchmal klingt sein Album „Konfetti“, erschienen auf dem eigenen Label Grand Hotel van Cleef, dabei nach einer Mischung aus den Anfängen bei But Alive und dem Höhepunkt mit Kettcar. Vor allem aber klingt es schwer nach Wiebusch selbst: Lyrisch, eingängig und mit dieser unvergleichlichen Schmusestimme, die diesmal etwas wirklich Weltbewegendes vollführt. Ein Lied über einen schwulen Profifußballer, das bereits vorm Erscheinen Wellen schlägt. Begegnung mit einem Musiker, der meistens ruhige Töne anschlägt, beim Thema Homophobie und Dummheit allerdings richtig wütend werden kann.

MusikBlog: Markus, hast du für dein erstes Solo-Album eigentlich alles selber eingespielt und stehst allein auf der Bühne?

Marcus: Nee, wir sind da insgesamt acht Leute. Wieso?

MusikBlog: Weil Solo so nach Einzelkampf klingt.

Marcus: Ach, „Solo“ rührt daher, dass alle musikalischen Entscheidungen von mir stammen. Dabei nehmen die anderen natürlich Einfluss auf die Musik, aber weil letztlich ich bestimme, wo es hingeht, sind sie – man muss es so hart sagen – Erfüllungsgehilfen.

MusikBlog: Im Sinne von Angestellten?

Marcus: Technisch betrachtet schon, weil nicht alle gleichberechtigt sind wie bei Kettcar zum Beispiel. Das sind natürlich alles Freunde von mir, langjährige Wegbegleiter, hervorragende Musiker, aber am Ende bin ich da wie Bruce Springsteen. Es sind meine Songs.

MusikBlog: Stellst du dich da nicht mehr in den Vordergrund als es deinem Naturell entspricht?

Marcus: Da ist was dran. Aber weil ich diesen Schritt als Musiker dringend brauchte, muss ich die Konsequenzen in Kauf nehmen. Andererseits bin ich jetzt auch nicht angstbesessen und stand ja auch bei Kettcar schon im Rampenlicht. Jetzt strahlt das halt ein bisschen mehr auf mich, auch wenn ich nie deshalb Musik machen wollte. Als Sänger und Songwriter gehöre ich nicht zu den Frontsauen der Branche, aber ich meide den Mittelpunkt auch nicht.

MusikBlog: Um den ungewollten, aber unvermeidlichen Mittelpunkt geht es auch im wichtigsten Stück „Der Tag wird kommen“, wo du über einen schwulen Fußballprofi singst.

Marcus: Das kann man so sagen.

MusikBlog: Ist der vor oder nach dem Coming-Out von Thomas Hitzlsperger entstanden?

Marcus: Weit davor. Ich habe 2013 nach einem Spiel des FC St. Pauli mit einem befreundeten Sportjournalisten gesprochen, der mir von mehreren schwulen Bundesligaprofis erzählte. Das Thema interessierte mich aber auch deshalb, weil ich neben meinem schwulen Bruder im Stadion sitze; da kriegt man eine natürliche Antenne für diesen unfassbaren Zustand, dass sich kein aktiver Fußballer zu seiner Homosexualität bekennt. Dann hab ich viel recherchiert, bis der Song im vorigen September fertig war.

MusikBlog: Er klingt für deine Verhältnisse ungewöhnlich wütend.

Marcus: Das mag sein, aber er ist ein ungemein positiver Song, das merkt man ja schon am Refrain, der den Tag kommen sieht, an dem wir die Liebe, die Freiheit und das Leben feiern.

MusikBlog: Ohne konkretes Datum hätte man den allerdings auch vor 20 Jahren besingen können. Hast du keine Angst, dass man auch in weiteren 20 Jahren noch immer auf diesen Tag hofft?

Marcus: Nein. Wenn man vor zehn Jahren einen schwulen Außenminister prophezeit hätte, hätte ich doch auch gesagt: Das wird nicht passieren, weil das Klima für diese politische Erpressbarkeit nicht gegeben sein wird. Und jetzt guck dir an, wo wir stehen. Schwule Bürgermeister, Minister, Fußballpräsidenten. Es ist im Fluss und wir kämpfen. Gut, Russland ist ein Rückschritt, aber ich weiche keinen Millimeter davon ab, dass der Tag bald kommt. Punkt, Ende, Aus. Trotzdem oder gerade deshalb will ich aber diese wütende Emotionalität im Song beibehalten. Denn wenn ich all die homophoben Vollidioten, all die dummen Hater, Forumsvollschreiber und Schreibtischtäter im Text beschreibe, singe ich von den Dümmsten der Dummen. Bleib da mal ruhig und gelassen… Ich will – wie damals bei meiner Punkband But Alive – die emotionale Komponente explizit hervorheben. Daher kommt die Wut im Lied.

MusikBlog: Glaubst du denn, es kann die Debatte beeinflussen, gar ein paar „Homophobe Vollidioten“ erreichen?

Marcus: Für den Glauben an so viel Relevanz bin ich nicht eitel genug. Aber ich freue mich natürlich, wenn mir Betroffenen, Freunde, Journalisten versichern, sie halten den Song für das Relevanteste, was sie im Pop je zu dem Thema gehört haben.

MusikBlog: Weil er endlich mal nicht metaphorisch um den heißen Brei dichtet?

Marcus: Genau. Aber das kennzeichnet das Album insgesamt: Ich nehme da mehr als zuvor offen Haltungen ein, und wenn ich den ganzen Text wie bei „Der Tag wird kommen“ auch noch als Sprechgesang rauspunche, wirkt das natürlich erst recht sauer.

MusikBlog: Dabei sprichst du deine Adressaten oft direkt an: Ihr Alphatiere! Ihr Schwulenhasser! Erreichst du die damit wirklich?

Marcus: Zunächst mal animiere ich im Idealfall Leute, die das ohnehin gut finden, diese Gedanken in ihren Alltag rauszutragen. Und wer weiß, vielleicht merkt ja einer im homophoben Umfeld, mit was für Idioten er sich da kritiklos umgibt. Vielleicht macht er sich unter denen dann sogar mal bemerkbar. Aber der Song richtet sich trotz der Ansprache zunächst mal an die Aufrechten der Gesellschaft.

MusikBlog: Damit kennzeichnest du das Dilemma vieler Debatten, deren Meinungen vor allem Gleichgesinnte erreichen.

Marcus: Und weil das so ist, wird es zu dem Lied einen siebenminütigen Video, mehr einen Film geben, der jede Sequenz explizit bebildert. Deshalb bitte ich gerade die Fanclubs und Fanbeauftragten aller 36 Proficlubs, möglichst viele davon für eine kurze Einstellung vor ihrem Stadion zu sammeln, was dann gegeneinander geschnitten wird und ein ziemlich machtvolles Gesamtbild ergeben soll. Das soll dieses diffuse Wir derer symbolisieren, die wollen, dass dieser Tag bald kommt. Ich bin förmlich besessen davon, dieses Gefühlt mit Tausenden von Gleichgesinnten von Stadt zu Stadt zu Stadt zu transportieren. Eine logistische Monsterarbeit, die aber mal übers übliche „Preaching to the already converted“ hinausgeht.

MusikBlog: Wenn du also inhaltlich verglichen mit Kettcar stärker Kante zeigst – worin unterscheidet sich Marcus Wiebusch musikalisch?

Marcus: Die Experimentierfreude, würde ich sagen. Da kommen elektronische Impulse, Sprechgesang, Bläser. Und die Haltung drückt sich auch im Tempo aus. Hätte ich mich bei Kettcar öfter mal für ein Langsames ausgesprochen, entscheide ich mich diesmal meistens fürs Schneller. Mehr Druck. Mehr Power. Die Songs haben mehr Kraft als viele von Kettcar.

MusikBlog: Zurück zu den Punkwurzeln.

Marcus: But Alive hätte ich natürlich nicht mit Bläsern oder Samples kommen können. Aber stimmt schon.

MusikBlog: Wird das jene Kritiker womöglich etwas milde stimmen, die mit Marcus Wiebusch grundsätzlich weichgespülten, lyrischen Konsenspop assoziieren?

Marcus: Das ist jetzt nicht mein Ziel, könnte aber passieren. Ich weiß zum Beispiel von denen, die man so schön “Opinion Leader” nennt, dass mancher von denen „Der Tag wird kommen“ megageil findet, sich aber wünschen würde, jemand anderes hätte den Song geschrieben, damit sie mich nicht neu verhandeln müssen. Soll mir recht sein. Meine Bitte ist nur: Kritisiert die Lieder für das, was ihr hört, nicht für den, der sie geschrieben hat! Nur weil ich mal „Balou“ gemacht hab…

MusikBlog: Ist „Konfetti“ ein Ausflug aus Balous Romantikwelt oder ein Richtungswechsel?

Marcus: Im Moment ist es ein Ausflug, den ich mit meiner Band ja auch besprochen habe. Aber wer weiß, vielleicht bricht eine neue Zeitrechnung für mich an. Fakt ist: Dieses Album wäre niemals mit Kettcar entstanden. Wir haben viele wichtige Sachen auf den Weg gebracht und 250.000 Platten in zehn Jahren verkauft. Aber ich habe solo unfassbar viel gelernt, frischen Wind geatmet, jetzt können wir uns irgendwann wieder treffen, fünf Finger sind ’ne Faust. Fertig. Ich hab keinen Masterplan, aber das ist meine Hoffnung.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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