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Marteria – Live in der Swiss Life Hall, Hannover

Nilz Bokelberg, der in den 90er Jahren durch Viva bekannt wurde (und jetzt Autor und Filmkritiker ist), beklagte sich vor einigen Wochen in seinem Blog darüber, dass selbst Jugendliche nun Helene Fischer mögen würden, obwohl deren Job doch eigentlich ist, sich gegen die Hörgewohnheiten der Eltern aufzulehnen.

Ein Popstar ganz anderer Couleur spielte gestern in Hannover in der Swiss Life Hall und man kann erleichtert feststellen: Es ist noch nicht alles verloren, lieber Nilz. Die Rede ist von Marteria, der momentan drauf und dran ist, Casper und Cro den Rang als beliebtester Rapper Deutschlands abzulaufen.

Als ich mich in der Halle einfinde, um mir den Support-Act Kid Simius zu Gemüte zu führen (der auch später bei Marteria noch auf der Bühne stehen wird), erspähe ich bereits einige Eltern, die ihren noch nicht pubertierenden Nachwuchs zum Konzert begleiten. Für die Mischung aus Hip-Hop, Elektro, Surf Rock und andalusischen Klängen, die der junge Spanier auftischt, können sie sich offenkundig nicht begeistern. Die stetig anwachsende Menge vor der Bühne hingegen schon.

Der Elternalbtraum setzt sich um halb Neun fort. Komisch eigentlich, dass sich ausgerechnet einer der zahmsten Rapper des Landes als Spießerschreck entpuppt. Mit dem Riesenhit “OMG!” beginnt Marteria sein Programm und schon jetzt ist klar, dass alle im Innenraum aus diesem Konzert eine riesige Party machen würden.

Während ekstatische Bewegungen zumeist nach spätestens zehn Metern vor der Bühne abebben, wippen an diesem Abend alle Hände bis ganz nach hinten mit. Das Publikum muss gar nicht warm werden. Von Anfang an wird jeder Song, auch die ruhigeren (wie zum Beispiel “Glasklar/Herzglüht”), gefeiert. Verfrühter Höhepunkt ist – na klar – “Kids (2 Finger an den Kopf)”, der vermutlich größte deutschsprachige Rap-Hit des Jahres 2014.

Die Eltern sinken währenddessen tiefer in ihre Sitze auf den Rängen. “Jeder Schluck macht Glück! Glück! Glück!” singt Marteria in “Die Nacht ist mit mir”. Hoffentlich schnappt der junge Nachwuchs das nicht auf. Regungslos beobachten sie die Pyrotechnik in der Menge, die bei “Bengalische Tiger” entzündet wird.

In der Mitte des Sets gibt sich Miss Platnum die Ehre, die vor allem durch ihre Kollaboration mit Marteria und Yasha auf “Lila Wolken” bekannt geworden ist. Mit “99 Probleme”, “Glück & Benzin” und “Letzter Tanz” gibt sie in einem Medley gleich drei Stücke ihres aktuellen Albums “Glück & Benzin” zum Besten.

Marteria kehrt anschließend als sein kiffendes Alter Ego Marsimoto auf die Bühne zurück. Nun also auch noch grüne Rauchbomben und Verherrlichung von “Einstiegsdrogen”, dürfte sich die erwachsene Begleitung denken. Die nächste Viertelstunde widmet man sich ausschließlich dem Marihuanakonsum (“Grüner Samt”, “Ich bin dein Vater”, “Grünes Haus”).

Dann die erneute Verwandlung: Marteria ist wieder Marteria und perfomt mit “Endboss”, “Marteria Girl” und “Verstrahlt” kurz vor Ende des Sets noch die größten Hits seines zweiten Albums. Eine Zugabe gibt es natürlich auch noch. “Crash dein Sound” (im Original zwar von Marsimoto, hier allerdings im Marteria-Stil) fasst den Abend mit seinem Konglomerat aus Hip-Hop und Elektro musikalisch zusammen.

Der Kid Simius-Track “Die letzten 20 Sekunden” wird am Ende schließlich zweckentfremdet, indem Marteria immer wieder die “allerallerletzten” zwanzig Sekunden ankündigt und dem Publikum dabei allerlei Verrücktheiten abverlangt. Relativ harmlos beginnt es mit einem (zunächst missglückten) Stagedive. Anschließend fordert er die Fans auf, sich zunächst ihre T-Shirts auszuziehen und in den allerallerallerletzten zwanzig Sekunden wegzuwerfen. Und siehe da: Die halbe Halle macht das!

Die von Bokelberg angesprochenen “vereinzelten Heldentaten”, personifiziert von Marteria, bieten also doch noch Grund zur Hoffnung. Solange junge Menschen auf ein Konzert gehen, feiern und gleichzeitig gesellschaftskritische Texte mitsingen können, sich schließlich ihres Hab und Guts entledigen und ihre Eltern sich dabei fragen, wo sie hier eigentlich gelandet sind, ist der Silberstreifen am Horizont der Jugendkultur noch zu erkennen.

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