MusikBlog - Entdecke neue Musik

Ich fühlte mich wie eine schlechte Schauspielerin – Cold Specks im Interview

Die mystisch-dunkle Reise von Cold Specks geht weiter und mündet zwei Jahre nach dem Debüt vorerst am Ufer namens “Neuroplasticity“. Ein Ort, dessen Beschaffenheit bereits eine gewisse Extravaganz in sich birgt. Dabei geht es jedoch nicht um ausgefallene Klangexperimente, sondern um das temporäre Verlassen jener Nische, die so gerne als “Doom-Soul” bezeichnet wird und Cold Specks auf die Bildfläche katapultierte. Eine glatte Kehrtwende muss nicht gefürchtet werden, was das Klangbild angeht. Eher eine bewusste Entscheidung zum minimalistisch-ästhetischen Wandel. Was es mit alldem auf sich hat, erläutert uns die kanadische Sängerin Al Spx im Gespräch, auf dem Sofa ihres Labels Mute Records sitzend, im Herzen von Berlin.

MusikBlog: “Neuroplasticity” klingt im ersten Augenblick wie der Titel einer medizinischen Forschungsarbeit. Wie viel Recherche und Soul-Searching war für dich im Vorfeld notwendig, um dich auf die Arbeit an den Songs einzulassen?

Al Spx: Es gibt ganz klar Bands und ihre Musik, die in irgendeiner Form den Weg in meine Arbeit finden, aber ich setze mich vor einem neuen Album nicht hin, um extra eine Art Seelenforschung zu betreiben, was meine eigene Person angeht. Da wird nicht in den emotionalen Untiefen herumgegraben, sondern ich versuche alles so unberührt wie möglich an die Oberfläche zu lassen.

MusikBlog: Neuroplastizität beinhaltet die gezielte Veränderung von Nervenzellen in Abhängigkeit der Veränderungen ihrer Eigenschaften. Inwiefern spricht dich die Idee des hervorgerufenen Wandels musikalisch an?

Al Spx: Mich hat von Anfang an die Vorstellung angesprochen, dass dabei ein Zustand der Neuvernetzung erreicht wird, bei dem sich neue Bahnen offenbaren, die wiederum zu etwas führen, das so noch nie da gewesen ist. Genau das möchte ich auch in kreativer Hinsicht über meine Musik sagen können. Deswegen beschreibt der Albumtitel meine Arbeit so treffend. Ich assoziiere mit diesem Begriff einen ästhetischen Wandel innerhalb meiner Musik.

MusikBlog: Wodurch wurde dieser Wandel deiner Meinung nach hervorgerufen?

Al Spx: Ich habe vorab der Aufnahmen für das Album drei Monate lang in einem Cottage verbracht, um an drei verschiedenen Songs zu arbeiten und während dieser Zeit habe ich festgestellt, dass ich in einem viel größeren Rahmen experimentieren möchte als das vielleicht vorher beabsichtigt war. In mir wurde der Wunsch geweckt, noch einen ganzen Schritt weiterzugehen und das habe ich diesen Songs zu verdanken.

MusikBlog: Wie erklärst du dir diesen aufkommenden Drang, musikalisch einen anderen Weg einschlagen zu wollen?

Al Spx: Ich schätze, ich war doch sehr von dem gelangweilt, was ich bisher gemacht habe und wollte unbedingt etwas verändern, um nicht auf der Stelle zu treten und mir selbst im Weg zu stehen. Mit nur einem Album über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren auf Tour zu sein, kann ganz schön energieraubend sein. Immerhin waren es nur rund 35 Minuten, die man Abend für Abend bestmöglich wiedergegeben hat. Das hat irgendwann doch sehr an den Kräften gezehrt und eben auch dieses Gefühl von Langeweile aufkommen lassen.

MusikBlog: Allgemein wird immer gesagt, dass man nicht wirklich in der Lage ist, das Wesen eines Menschen zu verändern, sondern dieser Wandel nur von innen herbeigeführt werden kann. Glaubst du, das gilt auch für die Musik?

Al Spx: Ich bin mir nicht so sicher, was das angeht. Ausserdem versuche ich, jegliche Form von Wandel nicht zu analysieren, soweit das möglich ist. Das kommt schon ganz von allein. Ein musikalischer Wandel kann auf der einen Seite ganz leicht, dann wiederum nur sehr schwer vollzogen werden. Das Naturell des Musikers hat viel damit zu tun und beeinflusst diese Veränderung.

MusikBlog: Hast du jemals instinktiv oder bewusst versucht, etwas an deiner Person zu verändern?

Al Spx: Ja, das habe ich. Und zwar, als ich die Arbeit am neuen Album begonnen habe. Ich fing in diesem Zeitraum an, mich mehr und mehr für die Kunst der Performance zu interessieren und wie ich diese Inszenierung auch für meine eigene Show nutzen könnte. Es gibt da natürlich dieses menschliche Element der Performance, das eng mit dem Gesang verbunden und nur schwer zu verändern ist, aber darüber hinaus gibt es so viele spannende Wege und Mittel einen Auftritt zu einer wahren Performance zu machen. Ich wollte am liebsten jeglichen Funken des Menschseins in mir ausknipsen und mich davon freimachen, eine Unterhaltungskünstlerin zu sein.

MusikBlog: Konntest du das so einfach in die Tat umsetzen?

Al Spx: Ja, das ging sogar erstaunlich gut. Allerdings habe ich auch nur wenige Shows gespielt, bei denen das  überhaupt möglich war. Es wird sich in der Zukunft noch herausstellen, ob mir diese Veränderung wirklich gelungen ist.

MusikBlog: Ist es denn ein Fluch für dich, eine Unterhaltungskünstlerin zu sein? Welche Form der Unterhaltung reizt und inspiriert dich für deine eigene Arbeit?

Al Spx: Mir gefällt nicht die Vorstellung, jemand anderen im klassischen Sinne zu unterhalten. Daher meine Abneigung gegen das Wort Unterhaltungskünstlerin und mein Interesse an der Dehnung des Performance-Begriffs. Ich bin in letzter Zeit öfter in London in die Oper gegangen und habe mir dort ein wenig Inspiration geholt. Im Theater war ich dagegen noch nie. Ich finde es so interessant, die Opernsänger dabei zu beobachten, wie sie ihre Stimme fast schon wie ein Instrument einsetzen und damit so einen großen Variationsspielraum erzeugen. Als ich dann im Cottage saß und an meinen Songs arbeitete, legte ich die Gitarre für eine Weile weg, um mich nur auf meine Stimme zu konzentrieren. Ich zwang mich förmlich dazu, gesanglich an meine Grenzen zu stoßen, indem ich den für mich tiefstmöglichen und auch höchsten Ton treffen wollte. Vorher habe ich mir über solche Dinge nie Gedanken gemacht.

MusikBlog: Hast du jemals in Erwägung gezogen, professionellen Gesangsunterricht zu nehmen, um deine Stimme zu formen?

Al Spx: Nein, das wäre nichts für mich. Ich kann mich nicht sonderlich gut auf andere Leute einlassen, die mir dann etwas zu sagen haben und mir etwas beibringen wollen. Das geht meistens nicht gut.

MusikBlog: Das Leben auf Tour wird gerne in ein glamouröses Licht gerückt und als aufregend bezeichnet. Du gibst offen zu, dass es nicht immer so glänzt wie es scheint. Wann ist dir das zum ersten Mal bewusst geworden?

Al Spx: Ich habe festgestellt, dass mich die langen Fahrten von einer zur nächsten Stadt am meisten schlauchen. Vor allem in Amerika, wo die Distanzen einfach so riesig sind. Als ich dort auf Tour war, habe ich das erste Mal diese Weite und die damit verbundenen Reisen als negativ empfunden. Man fühlt sich schon vor dem Betreten der Bühne mies und völlig fertig. Dabei mag ich es zu reisen. Nur ist es eben auf Tour harte Arbeit, danach auch noch auf der Bühne zu stehen. Vielleicht hätte ich einen anderen Eindruck gehabt, wenn ich auf mehr Songmaterial hätte zurückgreifen können. So war ich immer an diese 35 Minuten meines ersten Albums gebunden, die zudem eine Phase in meinem Leben widerspiegelten, die für mich bereits innerlich abgeschlossen war. Ich fühlte mich manchmal wie eine schlechte Schauspielerin!

MusikBlog: Möchtest du aufgrund deiner Tour-Erfahrungen in Zukunft etwas daran ändern oder ist es nur schwer möglich, aus diesem Konstrukt auszubrechen mit alldem, was das Leben auf Tour so mit sich bringt?

Al Spx: Ich würde gerne ein paar Dinge ändern, aber dafür müsste ich wohl in die Liga der richtig erfolgreichen Musiker mit einem fetten Budget aufsteigen. Dann könnte ich es mir leisten, auf Tour zu gehen und mich trotzdem wie zu Hause zu fühlen, weil der Komfort grenzenlos ist. Eine Wunschvorstellung! Ich habe schon ziemlich viel durch, was das Touren angeht. Egal, ob ich im Bus, im Van oder mit dem Zug unterwegs war – keine dieser Varianten war bisher wirklich optimal.

MusikBlog: Passiert es dir auch im Studio, dass du dich anfängst zu langweilen oder wird der Fokus da automatisch hochgehalten, weil das Ziel vielleicht klarer definiert ist?

Al Spx: Mir fällt es generell schwer, mich zu konzentrieren. Vielleicht habe ich auch eine leichte Aufmerksamkeitsstörung. Im Studio langweile ich mich nicht, aber ich bin schnell abgelenkt und muss extrem aufpassen, nicht abzudriften. Es ist ja schon schwer genug, überhaupt zu existieren, was manchmal sehr kompliziert sein kann. Kommt dann auch noch die Arbeit dazu, wird es ganz schwierig.

MusikBlog: Was muss denn ein Studio haben, damit deine Aufmerksamkeit bei den Songs und den Aufnahmen bleibt?

Al Spx: Ich mag es sehr, in großzügig geschnittenen Räumen aufzunehmen und tolles Equipment zur Verfügung zu haben. Wenn diese Umstände gegeben sind, dann kann ich mich umso besser auf die Arbeit, die vor mir liegt, einlassen. Für “Neuroplasticity” habe ich unter anderem im Revolution Recordings in Toronto und im Hotel2Tango in Montreal aufgenommen, wo all das gegeben ist. Die Räumlichkeiten sind bei beiden unglaublich toll und besonders Hotel2Tango hat eine riesige Auswahl an Instrumenten.

MusikBlog: Die Songs auf dem neuen Album sind, emotional gesehen, erneut sehr schwer. Gibt es für dich einen Moment im Entstehungsprozess oder im Nachhinein, in dem sich dieses emotionale Gewicht, das auf deinen Schultern lastet, wie eine Art Befreiungsschlag löst oder muss es das vielleicht gar nicht?

Al Spx: Es fühlt sich für mich nicht länger so an, als wäre die Musik ein erlösender oder gar reinigender Prozess für mich. Daher habe ich es auch vorgezogen, dieses Mal gar nicht erst zu versuchen, über mich selbst zu schreiben, was den Inhalt der Songs angeht. Ich bin mir sicher, dass ich in dieser Hinsicht kläglich versagt habe, aber ich wollte nicht schon wieder Songs schreiben, die einen zutiefst persönlichen Charakter besitzen.

MusikBlog: Warum war genau das dieses Mal so wichtig für dich?

Al Spx: Je länger ich mit dem ersten Album unterwegs war, umso mehr wurde mir die Tatsache bewusst, dass ich auf der Platte einige sehr persönliche Dinge verarbeitet habe, die durch die lange Zeit auf Tour natürlich immer wieder an die Oberfläche kamen. Das wollte ich dieses Mal vermeiden. Irgendwann kannst du dich nicht mehr auf die Bühne stellen und das alles so sehr an dich heranlassen. Also fängst du an, dich immer mehr vom Inhalt der Songs zu distanzieren. Nicht, weil du einen Sinneswandel durchlebst, sondern weil du sonst nicht weitermachen kannst.

MusikBlog: Hast du bereits eine Vorstellung davon, wie du das in Zukunft live realisieren willst?

Al Spx: Ja, ich habe eine ungefähre Ahnung davon, wie ich das neue Material im Zusammenhang mit den älteren Songs umsetzen möchte. Es soll alles ein visuelleres Erlebnis werden, was das Konzert selbst angeht. Bisher hat sich alles doch sehr auf die klangliche Erfahrung konzentriert und diesen Begriff will ich in Zukunft etwas mehr dehnen. Dazu gehört auch, dass ich mit einer vierköpfigen Band auf Tour sein werde.

MusikBlog: Bist du jemand, der vor einer Tour viel Zeit mit Proben verbringt?

Al Spx: Mittlerweile bereite ich mich gerne und sehr intensiv auf eine anstehende Tour vor. Früher war das nicht in dieser Dimension der Fall. Heute habe ich zum Glück auch die Möglichkeiten und kann in Montreal ausgiebig proben, weil mir die nötigen Räumlichkeiten zur Verfügung stehen. Ausserdem ist meine ganze Band dort und es ist viel einfacher, zusammenzukommen und bestimmte Dinge durchzuprobieren bis alles passt.

MusikBlog: Auf “Neuroplasticity” gibt es eine erneute Kollaboration mit Michael Gira von Swans, mit dem du schon einmal zusammengearbeitet hast. Macht es hinsichtlich eurer Arbeitsweise einen Unterschied, für welches Projekt der Song entsteht oder hat das keinen Einfluss auf das Resultat?

Al Spx: Ich analysiere meine Arbeit normalerweise nicht, daher kann ich schwer beurteilen, ob es da einen wirklichen Unterschied gab. Ich kann nur sagen, dass ich beim Mitwirken auf der letzten Swans-Platte, zeitlich gesehen, definitiv mehr rangeklotzt habe. Wenn es um meine eigenen Songs geht, dann lasse ich mir da gerne sehr viel Zeit. Das geht natürlich nicht, wenn man zu einem fremden Aufnahmeprozess dazu stößt und sich nach den dort vorherrschenden Parametern richten muss.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

Facebook
Twitter

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke