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Der Mann als solcher – Der Mann im Interview

Machen wir es kurz: Der Mann sind Die Türen. Ein schöner Satz, der einem eh‘ schon immer mal gerne aus der Tastatur gekommen wäre. Aber erst mal langsam und zum Mitdenken. Das Album „Wir sind der Mann“ von Der Mann ist ein Konzeptprojekt der Berliner Band Die Türen. So weit so gut und schon etwas klarer. Oder auch nicht. Denn so einfach ist das jetzt auch wieder nicht. So verweist das eher knapp gehaltene Info-Sheet des Türen eigenen Labels Staatsakt für Informationen zum Album auf einen eher kryptischen Mailverkehr – eine Art Produktionstagebuch in Mailform – den die drei Der Mann-Protagonisten Berthold, George und Ray Mann hinterlassen haben sollen, bevor sie endgültig in der Virtualität verschwunden seien. Das ist nett von ihnen. Sorgt aber irgendwie auch für irritiertes Kratzen am Kopf. Zu den weiteren greifbaren spärlichen Fakten zählt auch noch, dass neben den drei Musikmännern auch noch der Berliner Maler Helmut Kraus und die Kölner Filmanimationsfirma Industriesauger.TV mittels Cover-Gestaltung und Videoproduktion an dem Projekt beteiligt sind. Ist Der Mann also so etwas wie ein übermediales Gesamtkunstwerk? Auf Cover und im Clip zu „Menschen machen Fehler“ sieht man jedenfalls drei Männerköpfe, die zwar extrem durchschnittlich normal aussehen, aber irgendwie auch seltsam verschwommen an drei Mitglieder der Türen erinnern. Genug Fragen, um sich mit dem gänzlich Alter Ego befreiten Türen-Sänger Maurice Summen alias Ray Mann zu unterhalten.

MusikBlog: Also was ist dran am Mann?

Maurice Summen: Eigentlich wollten wir nach der letzten Türen-Platte erst mal zwei Jahre Pause machen. Alle hatten extrem viel zu tun und waren irgendwie mit anderen Projekten beschäftigt. Doch irgendwann sagte dann unser Gitarrist Gunther Osburg, dass er wieder Lust hätte, Musik zu machen. Das fand‘ ich auch gut. Allerdings war uns natürlich klar, dass wir das allein machen mussten, weil die anderen Türen-Mitglieder ja keine Zeit hatten. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen. Das war so der Ausgangspunkt, mit dem die Überlegungen losgingen, wie man das eigentlich umsetzen und präsentieren könnte. Zufälligerweise erzählte mir dann ein Freund von uns, Sebastian Kaltmeyer von Industriesauger.TV in Köln, von seiner Konzeptidee mit dem Durchschnittsmann. Wir fingen an, uns das konkret vorzustellen. Außerdem gab’s da noch Helmut Kraus, ein Berliner Maler, mit dem wir schon immer was zusammen machen wollten. Der hatte witzigerweise unabhängig von Sebastian an einem ähnlichem Konzept gearbeitet. Da haben wir uns gesagt „Das gibt’s ja gar nicht! Der macht ja fast das Gleiche. Dann lass uns das doch mal zusammen konzipieren“. Somit war also schon mal eine Idee da, wie man das in die Welt setzen könnte. Eine Art Oberfläche. Wir hatten diese Videoidee. Wir hatten diese Gemälde. Und dachten uns, dass man damit schon mal was anfangen kann. Und dann hat’s natürlich auch Spaß gemacht, die Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die anderen Türen fanden es auch ok, dass wir da etwas Separates machen.

MusikBlog: Wie seid ihr denn konkret auf den eher simplen Projektnamen gekommen, der ja im Zeitalter der Suchmaschinen auch seine Tücken haben kann?

Maurice Summen: Gunther meinte irgendwann mal, dass Der Mann ein ganz lustiger Titel für Irgendwas wäre. Etwa zur gleichen Zeit hat auch Sebastian Kaltmeyer einen deutschen Durchschnittsmann für eine Filmproduktion kreieren müssen. Dabei hatte er auch schon diese Pastetechnik angewendet, die auch im Clip zu „Menschen machen Fehler“ zu sehen ist. Und da dachte ich mir „Hm, schon wieder der Mann. Gunther kam neulich mit der Mann an und Sebastian sitzt hier auch einem Durchschnittsmann. Das ist ja ein netter Zufall“.

Also dachten wir uns dann, dass wir das Projekt einfach Der Mann nennen. Außerdem war die Thematik um die Männerrolle in den letzten zwei Jahren ja auch tierisch präsent. Titelseiten bei der Zeit „Das schwache Geschlecht“, „Wer ist der Mann?“ oder „Was ist für den Mann noch drin?“ und so etwas. Also diese Thematik um die Identifikationsschwierigkeiten des Mannes in der heutigen Welt. Da fanden wir es natürlich auch lustig, uns einfach so zu nennen und zu gucken wie die Reaktionen darauf sind. Das fanden wir spannend. Es hat natürlich auch einen provokanten Charakter. Andererseits ist es natürlich auch ein sehr sachlicher, sehr einfacher und guter Bandname. Kann man sich gut merken.

MusikBlog: Ein multimedial angelegtes Konzept ist natürlich schon ein sehr ambitioniertes und großflächiges Projekt, das, wenn man es überzeugend rüberbringen will, man schon bis ins Detail durchziehen muss. Wie zum Beispiel bei Daft Punk. Wie kommt es, dass ich jetzt anstatt mit Deinem Alter Ego Ray Mann mit Maurice Summen spreche?

Maurice Summen: Als damals die Idee für dieses Projekt aufkam, ging es schon darum drei fiktionale Charaktere zu entwerfen, mit denen man das komplett durcherzählen könnte. Also zu sagen, es gibt jetzt Berthold, George und Ray Mann, die ihre Lieder singen. Dieses Konzept sollte eigentlich nur virtuell verfolgt werden. Außerdem sollte es für jeden der drei Männer mindestens einen Videoclip geben. Wir haben uns auch ausgemalt, dass man da auch dokumentarisch vorgehen könnte. Also mit diesen Charakteren in Interviews in Erscheinung treten und so etwas. Allerdings mussten wir dann feststellen, dass die Arbeit an dieser virtuellen Konzeptgeschichte extrem zeitaufwändig und arbeitsintensiv ist. So müssen zum Beispiel die Rechner fast eine ganz Nacht rendern, nur um eine Minute Film herzustellen, denn diese Collagentechnik im Clip ist eben schon recht aufwändig. Wir mussten uns dann doch eingestehen, dass wir es zwar schon bis zu einem bestimmten Punkt machen wollen, aber dann doch nicht die Mittel haben, um dieses Konzept komplett durchzuziehen. Ein befreundeter Maskenbildner hat uns zum Beispiel ein Angebot für richtige Masken gemacht, mit denen wir auch auf der Bühne oder beim Interview wie diese fiktiven Charaktere hätten aussehen können. Aber das ist eben alles extrem aufwändig und teuer. Da rauschen die Tausender einfach nur so durch. Wenn man so eine Idee hat und konsequent weiter verfolgen will, dann müsste man sehen, dass man das Projekt Der Mann ganz groß etabliert. Und man muss seine ganze Energie reinstecken, damit es irgendwann erfolgreich wird und das ganze Geld auch wieder einspielt.

Also haben wir uns gefragt, ob wir wirklich eine Art hängengebliebene Daft Punk-Männer im Cyberspace sein wollen oder ob wir nicht doch lieber nur einfach auf die Bühne gehen, diese Songs spielen und unsere Energie dann doch lieber in etwas anderes stecken. Wir haben feststellen müssen, dass es zu kompliziert und zu arbeitsintensiv geworden wäre. Und so haben wir uns gesagt, dass es bis zu diesem Punkt reicht. Und jetzt geht’s wieder schnell zurück aus der Virtualität in die Realität und auf die Bühne.

MusikBlog: Anscheinend hat euch damit die Realität von Geld und Zeitmanagement wieder eingeholt. Seid ihr trotzdem zufrieden mit dem was ihr erreicht habe und wie Der Mann jetzt in der Welt steht?

Maurice Summen: Wir sind sehr zufrieden damit und ich würde es durchaus auch als abgeschlossen bezeichnen. Aber mehr kann man damit nicht erzählen, wenn man sich jetzt nicht zur Hauptaufgabe machen würde, das Projekt weiterzuentwickeln. Da hätten der Maler, die Videofirma, als auch wir als Musiker, die die Songs dafür schreiben, eine Aufgabe vor uns, der wir uns intensiv widmen müssten. Und dafür ist eben momentan weder die Zeit noch das Geld vorhanden. Ich halte das Projekt auf jeden Fall erstmal für abgeschlossen. Aber man kann es ja auch jederzeit wieder aufnehmen und sich in ein paar Jahren sagen „Ok, wir erzählen die Geschichte jetzt weiter“. Man sollte nicht von vornherein ausschließen, dass es vielleicht noch ein zweites Der Mann-Album gibt oder zumindest ein paar Songs in der Richtung.

MusikBlog: Die Genderthematik zwischen Mann und Frau ist natürlich ein Dauerbrenner, der sich durch die komplette Geschichte der Menschheit zieht. Könnte man sagen, dass „Wir sind der Mann“ so etwas wie ein Spiegel der Befindlichkeit des deutschen Mannes in den 2010ern sein soll?

Maurice Summen: Den Mann oder die Frau als solche gibt es ja gar nicht. Das ist so ein bisschen der Twist im Titel, der ja grammatikalisch an sich auch ziemlich fragwürdig ist – „Wir sind der Mann“. Auf dem Album werden viele verschiedene Geschichten erzählt. Wenn es jetzt ein Portrait der Befindlichkeit des deutschen Mannes im Jahr 2014 sein soll, müsste ich jetzt sagen, dass es ein ganz schön diverses, konfuses und teilweise auch widersprüchliches Bild spiegelt. Aber ist schon witzig, dass der Name des Projekts einen da auf diesen Weg bringt. Es ist unsere Absicht zu zeigen, dass es den Mann als Solchen nicht gibt. Der Mann ist ein Konstrukt. Der Mann ist vielleicht auch ein Wunschbild von vielen Leuten. Es macht eben die Welt einfacher, wenn man sie erstmal in die zwei Hälften teilt – Mann und Frau.

MusikBlog: Setzt Du diese Erkenntnis auch in Deinem Privatleben um?

Maurice Summen: Ich persönlich habe da mittlerweile schon das Gefühl, dass ich diese ganzen Mann/Frau-Klischees ausblende. Deswegen finde ich das gerade so interessant, dass man mit dem Projekt eine alte Schublade aufmacht und komische Assoziationen weckt, die einen überhaupt wieder an dieses ganze Mann/Frau-Ding denken lassen. In Berlin gibt’s immerhin schon teilweise Läden mit gemeinschaftlichen Toiletten. Das könnte schon mal ein Anfang sein. Das Patriarchat gehört abgeschafft. Keine Frage!

MusikBlog: Nächstes Jahr werdet ihr zusammen mit den restlichen Türen-Mitgliedern wieder auf Tour gehen und auch Der Mann-Songs spielen. Was würdest Du sagen, habt ihr in dem Projekt ausgelebt, was es so bei den Türen noch nicht gab?

Maurice Summen: Ein Unterschied ist zum Beispiel, dass Gunther und Ramin, mit denen ich ja damals die Band gegründet habe, auf der Platte ihre Lieder selbst singen. Das hat es bei den Türen nie gegeben. Da singe ja nur ich. Aber natürlich haben wir ja auch bei den Türen schon Songs zusammengeschrieben, die ich dann einfach nur performt habe. Das hat natürlich so ein seltsames Authenzitätsmoment, weil man ja schon immer denkt, dass derjenige, der einen Song singt dann auch den Text geschrieben hat. Aber teilweise waren das auch schon immer Texte von den anderen. Oder von uns gemeinschaftlich geschrieben.

Für mich war das dann immer so, dass ich mich in die Emotionen der anderen reinversetzen und versuchen musste, es glaubwürdig rüberzubringen. Wie ein Interpret eben. Im Der Mann-Projekt ist es so, dass jeder seine Melodie und seine Texte selber vorträgt und sich niemand verstellen muss. Das ist eine schöne Sache. Allerdings finde ich dieses Spiel mit dem Autorentum bei den Türen auch sehr spannend. Dass da ein Typ auf der Bühne etwas vorträgt und man das Gefühl hat, das ist seine Welt, seine Erlebnisse und seine Vision. Es fällt dem Zuschauer nicht auf, dass es diese Brüche gibt. Das war bei den Türen schon immer meine große Aufgabe gewesen, es nach Möglichkeit in einem großen Fluss so darzustellen, als wäre ich der eine Typ, der sich diese ganzen Texte ausgedacht hat.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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