MusikBlog - Entdecke neue Musik

Musik machen ist wie eine Sucht – Wild Child im Interview

Zwischen Europa und Amerika herrscht nicht nur auf der zeitlichen Skala eine Verschiebung. Auch in Sachen Musik kommt es manchmal vor, dass die zwischen den Kontinenten klaffende Lücke eine Band auf die Geduldsprobe stellt. Wild Child aus Texas bringen dieser Tage hierzulande ihr zweites Album “The Runaround” heraus, das in Übersee bereits seit einem Jahr für positive Stimmen und Zuspruch sorgt. Dafür arbeiteten sie exklusiv mit Ben Kweller und seinem Label “The Noise Company” zusammen und sprachen im Rahmen ihrer Herbst-Tour nach einer feierlichen Show in Berlin mit uns über Heimweh, morgendliche Spaziergänge und  die Zusammenarbeit mit ihrem Produzenten Kweller, der stets als bekannte Frohnatur stets für gute Laune sorgte.

MusikBlog: Beim eurem Live-Debüt in Berlin vor Kurzem seid ihr tapfer mit der Tatsache umgegangen, dass zu Beginn der Show ein paar Leute in den ersten Reihen auf dem Boden saßen. Das war selbst für Berliner Verhältnisse ein ungewöhnlicher Anblick. Wie habt ihr diese Zurückhaltung empfunden?

Kelsey Wilson: Ich war auch etwas überrascht, aber empfinde solche Momente immer als Herausforderung. Das Publikum schien interessiert zu sein, daher war es kein Problem für mich die Fans anschließend zum Tanz zu bitten. Es war eher eine Frage der Zeit. Nur eine Frau ganz vorne hatte einen wirklichen Grund sitzen zu bleiben, denn sie erklärte uns später, dass sie einen gebrochenen Fuß hatte!

Alexander Beggins: Ich habe mir während der Show einen Kommentar zu ihr verkniffen, weil ich an Kanye Wests Fauxpas denken musste, bei dem er einen Mann im Rollstuhl verbal dazu animieren wollte endlich seinen Hintern zu erheben. Wie peinlich! Das wollte ich mir dann doch ersparen, denn man kann schließlich nie wissen…

MusikBlog: Am besagten Konzertabend spracht ihr davon, dass ihr noch nie so weit von zu Hause entfernt wart. Wie fühlt sich diese Reise fernab von der gewohnten Umgebung für euch an?

Kelsey Wilson: Es ist ganz wunderbar auf Reisen zu sein!

Alexander Beggins: Ich muss gestehen, dass ich heute morgen das erste Mal mit einem Gefühl von Heimweh aufgewacht bin. Das ist mir noch nie passiert, obwohl wir ja schon öfters auf Tour waren. Nur sind Länder wie z.B. Kanada den USA dann doch etwas ähnlicher als vergleichsweise Europa. Hier sind viele Dinge anders als zu Hause.

Kelsey Wilson: Das ist allerdings kein Nachteil, sondern sehr spannend für uns. Jeden Tag finden wir uns dadurch in einer völlig neuen Umgebung wieder und müssen uns dort zurechtfinden. Mir gefällt die Tatsache sehr, dass sich in Europa wenig gleicht, denn so gibt es mehr zu entdecken. Es ist wie eine andere Welt, in die man eintaucht. Fährst du jedoch durch Oklahoma, Texas oder Arizona, wirst du vermutlich nicht so große Unterschiede feststellen.

MusikBlog: Habt ihr euch schon an das Leben als Vagabunden gewöhnt?

Kelsey Wilson: Es hat gar keine richtige Eingewöhnungsphase gebraucht, was das Touren angeht. Wir kennen praktisch nichts anderes und sind ständig unterwegs. Von daher fühlen wir uns schon länger als Vagabunden. Selbst wenn wir müde sind oder zwischendurch einmal Heimweh haben, zieht es uns spätestens nach ein paar Tagen zu Hause wieder fort oder wir werden ungeduldig, denn wir wollen zum nächsten Soundcheck aufbrechen. Wir haben schon oft festgestellt, dass wir nichts anderes im Leben machen wollen und das Touren ein wichtiger Teil von uns geworden ist.

MusikBlog: In den Staaten ist euer zweites Album “The Runaround” bereits seit über einem Jahr erhältlich. Warum gab es in Europa eine längere Durststrecke, was die Veröffentlichung angeht?

Alexander Beggins: Wir haben viel Zeit damit verbracht ein geeignetes Label für das neue Album und dessen Veröffentlichung in Europa zu finden. Da die Suche so mühsam verlief, haben wir uns schließlich dazu entschieden die Platte auf eigene Faust herauszubringen. Deswegen waren wir auch schon vorab des Release auf Tour und haben eine Menge neues Material davon gespielt, mit dem die Fans hierzulande noch nicht vertraut sind. Sie kennen gerade einmal unser erstes Album “Pillow Talk”.

Kelsey Wilson: Wir haben die Songs unseres Debüts aber schon länger nicht mehr in dieser Form live gespielt, so dass es für uns toll war damit wieder auf der Bühne zu stehen. In Amerika haben wir dagegen gerade die Aufnahmen zu unserem dritten Album abgeschlossen. Der Sound darauf ist viel größer und lauter angelegt als zum Beispiel auf den beiden ersten Alben. Das hat vor allem mit den Live Shows zu tun, die immer mehr in diese Richtung tendieren. Es ist schon etwas komisch, dass wir hier in Europa etwas zeitlich hinterher hängen, aber gleichzeitig lernen wir dadurch unsere alten Songs auf eine andere Weise zu schätzen und können ihnen neues Leben einhauchen.

MusikBlog: Ihr seid auf Tour zu fünft unterwegs. Was hat das für Auswirkungen auf euer Gemeinschaftsgefühl?

Alexander Beggins: Ich glaube unser Gemeinschaftssinn könnte nicht größer sein. Wenn so viele Leute so eng beieinander sind, dann wird dieser Sinn automatisch gestärkt. Wir sind jeden Tag zusammen!

Kelsey Wilson: Wir sind über die Zeit zu einer wahren Einheit aus Brüdern und Schwestern zusammengewachsen. Natürlich kommt man sich früher oder später einmal in den Weg und es kommt zu kleineren Auseinandersetzungen, aber das ist völlig normal, wenn man so lange zusammen unterwegs ist. Besonders auf langen Autofahrten, wenn man nicht viel Raum für sich hat. Dennoch sind das alles Kleinigkeiten über die wir streiten und am Ende ist klar, dass wir immer noch eine Familie sind.

MusikBlog: Bleibt auf Tour überhaupt noch Zeit und Raum für so etwas wie individuelle Erfahrungen, wenn ihr so nah beieinander seid?

Alexander Beggins: Wenn ich so darüber nachdenke – nein! (lacht)

Kelsey Wilson: Um einmal ganz für sich zu sein, muss man schon früh aufstehen und zum Beispiel zu einem kleinen Spaziergang aufbrechen so lange der Rest der Band noch in den Federn steckt. Dann ist es möglich auch einmal alleine unterwegs zu sein. Ansonsten bekommt man solche Gelegenheiten höchstens noch, wenn man nach einer Show beschließt nicht noch mit den anderen auszugehen, sondern im Hotel zu bleiben.

Alexander Beggins: Wenn wir in Amerika unterwegs sind, gibt es an vielen Orten die Gelegenheit Freunde, Familie oder Bekannte zu treffen. An einem Ort wie New York kennt man unter Umständen jemanden, aber hier in Europa sind wir in dieser Richtung nicht vernetzt. Das hat den Vorteil, dass wir die Zeit, die uns bleibt für kleinere Entdeckungstouren nutzen können. Ich müsste mir erst einmal jemanden suchen mit dem ich einen Spaziergang machen kann. (lacht)

MusikBlog: Wenn man euch auf der Bühne sieht, bekommt man schnell den Eindruck, dass ihr euch am liebsten dauerhaft dort aufhalten möchtet. Warum ist die Musik für euch zu etwas so Besonderem geworden, dass weitaus mehr ist als nur ein Job?

Kelsey Wilson: Musik besitzt die Fähigkeit uns immer wieder aufs Neue zu motivieren und anzutreiben. Wir können zum Beispiel eine schlechte Probe haben, der Sound bei einem Konzert ist schlecht oder das Publikum reagiert nicht wie erwartet, aber dann spielst du einen bestimmten Song und bist wieder ganz Feuer und Flamme für das, was du tust. Alles kann von einem Moment zum anderen wieder völlig anders aussehen. Selbst, wenn es einem nicht gut gehen sollte, kann einen die Musik aus diesem Zustand herausreissen. Dieses Glücksgefühl zu haben, ist unglaublich viel wert. Es fühlt sich fast unsinnig an das, was wir tun, als einen Job zu bezeichnen. Die emotionale Kraft, die dahinter steckt, ist etwas ganz Besonderes. Wir wachsen und verändern uns täglich innerhalb dieses Universums, in dem wir uns als Musiker bewegen und das gefällt uns sehr.

Alexander Beggins: Ich finde es immer wieder erstaunlich, was Musik alles bewirken kann. Ich liebe es zum Beispiel welch konkreten Einfluss es auf die persönliche Stimmung haben kann. Bei unserer Show in Berlin hat ein Pärchen die gesamte Zeit über miteinander rumgemacht! Aber egal, was für einen Effekt wir mit unserer Musik hervorrufen, es macht mich stolz zu sehen wie unsere Songs andere Menschen berühren. Musik zu machen ist wie eine Sucht. Hast du erst einmal angefangen, kannst du kaum damit aufhören. Wir haben selbst so viele Shows von anderen Musikern gesehen, die uns dazu bewogen haben auch auf der Bühne zu stehen. Ich glaube jeder kennt das Gefühl von einem guten Konzert mitgerissen zu werden, daher wollen wir mit unserer Musik nichts anderes bewirken.

MusikBlog: Gab es auf eurer Seite Bedenken euer Hobby dann zum Beruf zu machen?

Alexander Beggins: Natürlich macht man sich seine Gedanken, wenn man die Musik zu seinem Lebensinhalt macht, aber wir wussten auch von Anfang an, dass wir nichts anderes im Leben wollen als Musik zu machen. Wenn man ernsthaft an die Sache herangeht, dann rücken diese Bedenken zum Glück etwas in den Hintergrund, auch wenn sie nie ganz verschwinden.

Kelsey Wilson: Es ist noch nicht allzu lange her seitdem wir an dem Punkt angelangt sind, an dem wir Vollzeit-Musiker sein können. Trotzdem fühlt es sich so an, als wären wir das innerlich schon immer gewesen. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wer uns erlaubt hat nur noch auf Tour zu sein und Songs zu schreiben. Wir haben es einfach im Kollektiv angepackt und ziehen das jetzt durch (lacht).

MusikBlog: Wessen Idee war es bei den Live-Shows Make-Up in Form bunter Kriegsbemalung zu tragen?

Kelsey Wilson: Das ist auf meinen Mist gewachsen. Ich habe schon immer gerne buntes Make-Up getragen, das vielleicht nicht unbedingt alltagstauglich ist. Zum Glück habe ich nun einen Job, bei dem ich mir das erlauben kann. Auf der Bühne wirken solche Dinge längst nicht so komisch wie im Tageslicht. Bei unseren Konzerten in den Staaten kommen die Fans auch schon mit bunt bemalten Gesichtern an, was ich großartig finde.

MusikBlog: Ihr habt für das neue Album “The Runaround” bei Ben Kwellers Label “The Noise Company” unterschrieben und ihn auch als Produzenten verpflichten können. Ein Wild Child mit Noise-Faktor – eine explosive, aber passende Kombination. Warum funktionierte die Zusammenarbeit mit Ben Kweller für euch so gut?

Alexander Beggins: Mit Ben Kweller war es klassischer Moment des richtigen Timings und übereinstimmender Visionen, was die Musik angeht. Wir teilen in vielerlei Hinsicht dieselbe Meinung und finden, dass er ein großartiger Typ ist. Er hat uns dabei geholfen als Band zu reifen und einen etwas größeren Blick auf das Ganze zu bekommen.

MusikBlog: Was hat er als Produzent aus euch herausgekitzelt, das vielleicht bisher nur ansatzweise vorhanden war?

Kelsey Wilson: Er hat es geschafft uns einem völlig neuen Spektrum auszusetzen, was die Aufnahmen zu “The Runaround” angeht. Beim ersten Album gab es gewissermaßen keine richtige Band und wir beide haben alles alleine gemacht. Jetzt waren wir mehr als nur ein Duo und hatten ein wirkliches Studio zur Verfügung. Wir mussten alle Karten auf den Tisch legen bevor es mit den Aufnahmen losging. Dazu gehörten auch diverse Argumente und Entscheidungen, die wir sonst nur mit uns selbst ausgemacht hätten. Wir waren praktisch dazu gezwungen unsere Meinung zu verteidigen, was gut für uns war. Ausserdem hat er uns geholfen einem Song nicht unnötig viele Schichten aufzudrücken, sondern auch die kleinen Dinge in den Fokus zu rücken. Die Aufnahmen mit ihm liefen sehr professionell ab und wir mussten als Band unseren Sound entrümpeln. Wir sind mit seiner Hilfe definitiv gewachsen. Und trotzdem hat er es nicht versäumt den Aufnahmeprozess spaßig und positiv zu gestalten. Er hat solch eine Energie!

Alexander Beggins: Er ist so ein liebenswerter Kerl, der uns dazu gebracht hat unserem internen Chaos eine Struktur zu geben. Gleichzeitig treibt er dich mit seiner Fröhlichkeit immer wieder an und gestaltet selbst anstrengende Momente so, dass du gute Laune bekommst. Er weiss genau, wann er die Stimmungskurve bewusst nach oben ziehen muss und wann es Zeit ist sich in deinen Kopf einzunisten, wenn es um musikalische Entscheidungen geht.

Kelsey Wilson: Wir waren zudem alle schon immer große Fans von Ben Kweller. Das kann ein Vorteil sein, aber auch dazu führen, dass man manchmal zu schnell eine Idee aufgibt, nur weil zum Beispiel Ben Kweller anderer Meinung ist. Hinterher reflektiert man dann manchmal genauer und merkt, dass man vielleicht zu großen Respekt hatte, um an seiner eigenen Meinung festzuhalten. Daher war es gut sich mit dem neuen Album und dieser Kombination aus Wild Child und Ben Kweller selbst auf die Probe zu stellen. Wir haben definitiv viel aus dieser Erfahrung für uns mitgenommen. Sowohl persönlich als auch musikalisch.

MusikBlog: Inwiefern habt ihr denn für euch als Musiker etwas dazu gelernt?

Alexander Beggins: Wir haben gelernt, dass es generell nicht einen richtigen Weg gibt einen Song aufzunehmen. Es existieren immer verschiedene Möglichkeiten und man muss sich trauen diese auch auszuprobieren. Wir haben für die neue Platte zum Beispiel ein Duett aufgenommen, das wir zuerst ganz nah beieinander gespielt haben bis unser Tontechniker die Idee hatte selbiges mit einer viel größeren Distanz zu den Mikrofonen zu tun. Wir dachten zunächst, dass das verrückt klingt, aber haben es dann einfach gemacht und waren total vom Ergebnis angetan. Aus solchen Momenten nimmt man viel für sich mit und lernt, dass es in der Musik nicht darum geht sich nur auf eine bestimmte Sache zu versteifen. Manchmal kann durch einen anderen Blickwinkel und etwas Mut etwas Wunderbares entstehen.

Kelsey Wilson: Als klassisch ausgebildete Musiker haben wir ebenfalls gelernt, dass vieles von dem, was wir machen, aus einem Gefühl heraus entsteht. Wir konstruieren keine Songs, sondern lassen uns oftmals von unserer Intuition leiten. Ben Kweller tut das zwar auch, aber hat uns darüber hinaus bewusst gemacht, wie wir eigentlich als Musiker ticken, indem er besondere Dinge in unserem jeweiligen Spiel herausgearbeitet und betont hat. Ich glaube Alexander war bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht klar, was für verrückte Sachen er da manchmal auf der Ukulele zustande bringt bis Ben ihm auf den Zahn gefühlt hat (lacht).

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

Facebook
Twitter

Schreibe einen Kommentar

Das könnte dir auch gefallen

Login

Erlaube Benachrichtigungen OK Nein, danke