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Das Schreiben reinigt meine Gefühle – Eaves im Interview

Machen wir uns nichts vor: Es wird noch eine Weile dauern, bis Apple endlich seine Singer/Songwriter-App „iSing“ auf den Markt bringen wird. Auch die von Sony bereits vorgestellten Singer/Songwriter-Androidenmodelle „Dylan“ und „Neil“ konnten die Fachpresse noch nicht komplett überzeugen. Wir werden also noch längere Zeit mit diesen alten Automaten aus Fleisch und Blut vorlieb nehmen müssen, die ihre gesammelten Lebens- und Gefühlserfahrungen in Songs umsetzen.

Und für Nachschub ist gesorgt. Denn durch den anhaltenden Neo-Folk Boom finden derzeit viele Besitzer einer Akustikgitarre bei den Plattenfirmen offene Türen vor. Einer von ihnen ist Eaves. Mit „As Old As A Grave“ veröffentlichte er im November seine erste EP. Auf ihr gibt es zwar nur drei Stücke, aber die reichten aus, um eine ziemlich gute Visitenkarte seines Talents abzugeben. Das im nächsten Jahr erscheinende Debut-Album wird in England jedenfalls schon mit Spannung erwartet.

Was den 23-jährigen aus Leeds von der Menge anderer neuer englischer Singer/Songwriter abhebt, sind seine Musikalität und sein Talent für originelle Melodien. Dass er auch schon einiges an Banderfahrung hat und mal Musik studiert hat, dürfte ihm bei der Umsetzung seiner Songs auch recht hilfreich sein. Auch die Qualität seiner Texte verhält sich zu manch anderem Erzeugnis seiner neo-folkisierenden Alterskollegen wie bestes, ehrliches Bäcker-Schwarzbrot zu preisgünstigen Creme-Schnitten aus dem Supermarkt. Auf „As Old As A Grave“ verarbeitet er Themen aus seiner Jugend im Arbeiterviertel der englischen Kleinstadt Bolton in prägnanten Bildern und poetischen Impressionen.

Im Vorprogramm von Nick Mulvey ging es jetzt für Eaves auf die erste Tour auf dem Kontinent. Gute Gelegenheit mal ein paar Worte mit ihm zu wechseln.

MusikBlog: Plattenvertrag, Touren, Interviews geben… Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass das gerade eine recht aufregende Zeit für Dich sein muss. Besonders jetzt auf Deiner ersten größeren Tour.

Eaves: Ja, es ist schon toll in all das reingezogen zu werden. Man spielt jeden Abend woanders und lernt dabei immer etwas Neues kennen. Auf dieser Tour habe ich zum Beispiel gelernt, dass ich mich intensiv vorbereiten muss, wenn ich jeden Abend auf der Bühne stehen muss. Das war für mich eine komplett neue Erfahrung. Ebenso wie, dass ich mehr auf meine Stimme achten muss. Aber es ist wirklich alles noch ziemlich neu für mich. Und es gibt noch viel zu lernen.

MusikBlog: Fremde Menschen wie ich, die Dir in Interviews Löcher in den Bauch fragen, müssen für Dich wahrscheinlich auch eine komplett neue Erfahrung sein.

Eaves: Diese Interview- und Kamerasache ist wirklich noch neu für mich. Eigentlich wollte ich so etwas nie machen. Anfangs war ich auch immer ziemlich nervös und aufgeregt. Aber irgendwann geht es eben nicht mehr ohne und man muss dann auch die Promotion übernehmen. Es ist eben ein Teil davon, Musiker zu sein. Inzwischen sehe ich das aber schon wesentlich entspannter. Ich stresse mich deswegen nicht mehr und mache mir auch keinen allzu großen Kopf mehr darüber. Aber klar, es ist schon eine seltsame Erfahrung.

MusikBlog: Wie hat es bei Dir damals mit der Musik angefangen?

Eaves: Ich habe schon als Kind angefangen Klavier zu spielen. Das Übliche halt. Aber irgendwann habe ich damit auch wieder aufgehört. Es war mir nicht cool genug. Ich war damals eben ein ignoranter kleiner Scheißer. Ein paar Jahre später hatten Freunde von mir eine Band. Als ihr Gitarrist kurz vor einem Gig ausgestiegen ist, sagte ich zu ihnen „Ok, ich kaufe mir eine Gitarre, lerne spielen und mache dann den Gig mit euch“. Und so lief es dann auch. Irgendwann stieg dann auch der Sänger aus und als der Rest der Band mich fragte, ob ich auch singen könnte, hab‘ ich erstmal Nein gesagt. Aber wir haben es dann trotzdem ausprobiert. Danach habe ich in Cover-Bands gespielt, mit denen wir in Pubs ein bisschen Geld verdient haben. Schließlich bin ich dann nach Leeds gezogen und habe dort richtig angefangen, meine eigenen Songs zu schreiben.

MusikBlog: Die nächste Stufe in Deiner Laufbahn wird im nächsten Jahr die Veröffentlichung deines ersten Albums sein. Auf der „As Old As A Grave“-EP gibt es ein Stück mit Band und zwei solo zu Klavier und Gitarre. Wird das Album genau so ein Mix sein?

Eaves: Die drei Songs der EP stehen schon stellvertretend für all das, was ich auf dem Album erreichen will. Allerdings auch nur in einem begrenzten Maß. Ehrlich gesagt, führt einen die EP in Hinblick auf das Album schon ein bisschen in die Irre. Denn es ist wirklich eine ziemlich große Produktion. Jede Menge Gitarren, Bass, viel Perkussion und Schlagzeug. Und Blechbläser! Wir haben uns da richtig ausgetobt. Die meisten Stücke sind mit einer kompletten Band eingespielt worden. Wir hatten die Möglichkeit, viel zu experimentieren.

MusikBlog: Und wie habt ihr diesen experimentellen Freiraum genutzt?

Eaves: Ich mag Prog-Rock und liebe es, wenn ein Album den Zuhörer mit auf eine Reise nimmt. Genau so eine Platte wollte ich machen. Eine, auf der es so leise wie möglich wird, um dann im nächsten Moment oder im nächsten Beat wieder so laut wie möglich zu werden. Das Album klingt schon ziemlich abgedreht und ich bin gespannt, wie es bei den Leuten ankommen wird.

MusikBlog: Du hast eben Prog-Rock erwähnt. Was hat Dich denn sonst noch so an Musik beeinflusst?

Eaves: Natürlich klassische Singer/Songwriter Sachen. Als ich jünger war, stand ich auch ziemlich auf Grunge. Außerdem auf Prog-Rock und ein bisschen Jazz. Ich mag Funk und Soul. Aber eigentlich hat mich schon Heavy Classic Rock ziemlich geprägt. Pink Floyd, Led Zeppelin und natürlich Black Sabbath.

MusikBlog: Gibt es auch aktuelle Sachen, die Dich interessieren und aus denen Du etwas für deine eigenen Songs ziehen kannst?

Eaves: Vor vier, fünf Jahren habe ich Mastodon entdeckt. Ich denke, dass sie mich in den letzten Jahren musikalisch schon deutlich mitgeformt haben. Ihr Gitarrist Brend Hinds ist einer meiner absoluten Lieblingsgitarristen. Seine durchgeknallte Art zu spielen und seine wirklich seltsamen Akkordfolgen mit droneartigen Sounds. So etwas liebe ich wirklich. Also, ich mag auch Metal. Im Prinzip ist es eine Kombination all dieser Einflüsse. Ich versuche eben, meinen eigenen Weg dadurch zu finden.

MusikBlog: Deine Texte scheinen durch das alltägliche Leben inspiriert zu sein. Was genau löst bei Dir den Impuls aus, einen Songtext zu schreiben?

Eaves: Ich habe immer mein Notizbuch dabei und schreibe ständig. Man kann eigentlich durch alles inspiriert werden. Es kommt immer darauf an, wie man die Dinge im Leben betrachtet. In den drei Stücken auf der EP geht es um Bolton, die Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Die Songs sollen schon die Mentalität der dort lebenden Menschen aus der Working Class wiederspiegeln.

MusikBlog: Bist Du auch selber in Working Class-Verhältnissen aufgewachsen?

Eaves: Ja. Geld war bei uns immer ein Problem. Seit ich denken kann, hat der Gerichtsvollzieher bei uns oft an die Tür geklopft. Erst als ich nach Leeds gezogen bin, hat sich daraus für mich ein ganzes Bild ergeben. Denn erst, wenn Du etwas verlässt, kannst Du es auch mit dem nötigen Abstand betrachten. Und dann habe ich diese Songs geschrieben. Das ist jetzt etwa anderthalb Jahre her.

MusikBlog: In dem Text von „As Old As A Grave“, dem Titelsong der EP, geht es um Alkoholismus. Welche und wessen Erfahrungen beschreibst Du da genau?

Eaves: Diese Thematik zog sich durch meine Familie und meinen Freundeskreis. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der jeder Jeden kannte. So bekommt man mit, dass viele Leute es zwar wissen, dass sie zu viel trinken, sich aber trotzdem nicht für Alkoholiker halten. Klar gibt es da einen Unterschied. Es ist ein ziemlich schmaler Grat. Ich habe das auf meine Art betrachtet. Aber es ist schon ein ziemlich schwieriges Thema. Auch mit diesem Song kann man es nicht ganz beschreiben oder erklären. Geschweige denn komplett verstehen. Es ist einfach das, was ich damals dazu sagen konnte und empfunden habe.

MusikBlog: Wenn das Album rauskommt, wird es in Deinem Leben wahrscheinlich noch turbulenter werden. Was würdest Du abschließend sagen, ist Dein Ziel als Musiker und Songwriter?

Eaves: Mein Ziel ist es, dass jeder Song, den ich schreibe besser wird als der davor. Ich habe Glück, dass ich jetzt ein Label, einen Agenten und einen Manager habe, die mir dabei helfen, die Musik zu machen, die ich machen möchte. Und dass ich davon leben kann. Aber es wäre auch nicht andres, wenn ich einen normalen Job hätte und nur dann schreiben könnte, wenn ich Zeit hätte. Es wären natürlich andere Sachen, denn mein Leben wäre ja auch ein anderes. Aber ich würde genauso Songs schreiben und im Prinzip das Gleiche tun. So bin ich eben. Ich liebe das Schreiben. Es entspannt mich und reinigt meine Gefühle. Und das tut mir gut. Ich mag es. Selbst wenn ich unterwegs bin, Gigs spiele und dann nach Hause komme, schnappe ich mir direkt die Gitarre. Schon schockierend, dass es so gekommen ist, aber ich bin damit ziemlich glücklich. (lacht)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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