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Rock ‘n’ Think – Enter Shikari im Interview

Es gab tatsächlich mal Zeiten, in denen man eine kritische Weltsicht und einen guten Song unter einen Deckel bekam und trotzdem damit auch noch ein paar Schiffsladungen Platten verkaufen konnte. Natürlich war das nicht immer die Regel. Aber es kam vor. Heute erscheint es einem allerdings fast schon undenkbar, dass man mit einem Song über zum Beispiel den Krieg im Irak oder die zunehmende Vermüllung der Meere auch in den Top Ten landen könnte.

Enter Shikari ist immerhin das Kunststück gelungen, mit ihren Alben am oberen Ende der britischen Charts aufzutauchen, obwohl sich ihre Texte fast ausschließlich um politische und gesellschaftliche Schieflagen drehen. Auch auf seinem aktuellen Album „The Mindsweep“ behält das Quartett aus St. Albans diese Fahrtrichtung bei. Wir sprachen mit Bassist Chris Batten und Gitarrist Liam „Rory“ Clewlow über das Album, den Einfluss von Musik, Geld, Freundschaft und andere heitere Themen.

MusikBlog: Muss ein gutes Gefühl sein, ein Album fertig zu haben und dann durch die Gegend zu reisen und unmittelbar zu sehen, wie die neuen Songs ankommen.

Chris Batten: Es ist schon ein großartig, wenn man sich nach der langen Zeit im Studio hinsetzt, um für die Tour die neue Setlist zusammenzustellen. Nach dem das Album fertig war, haben wir uns ein paar Monate auf die Tour vorbereitet und überlegt, wie wir die Show umsetzen können. Die Lightshow, das Programming und solche Sachen. Und wenn das alles dann seine endgültige Form annimmt und gut läuft, dann ist das schon sehr befriedigend. Es ist wie eine Belohnung.

MusikBlog: Du hast gerade schon die Lightshow erwähnt. Wird sie wieder so ein wichtiger Bestandteil der Show sein wie auf der „A Flash Flood Of Colour“-Tour?

Chris Batten: Das Artwork von „The Mindsweep“ zeigt einen Kopf, in dem man das Neuronennetz sieht. Und wir haben versucht, dieses Thema auch mit unserer Lightshow aufzugreifen. Sie ist wie das Pulsieren der Nervenbahnen im Hirn. Lichtpixel schwirren herum und so etwas. Es ist wahrscheinlich die coolste Lightshow, die wir jemals hatten.

Liam „Rory“ Clewlow: Was es besonders spannend macht, ist, dass das Licht mit der Musik größtenteils durch Timecodes synchronisiert ist. Wir haben uns da diesmal ziemlich tief reingekniet, um etwas wirklich Gutes auf die Beine zu stellen.

MusikBlog: Mit „The Mindsweep“ seid ihr jetzt schon seit Januar unterwegs und die Tour wird noch fast bis in den Sommer rein gehen. Müsst ihr eigentlich noch so viel live spielen? Drei von euren vier Alben waren immerhin in den englischen Top Ten. Oder mal anders gefragt, wovon lebt ihr als Band eigentlich?

Chris Batten: Ehrlich gesagt, sind Albumverkaufszahlen für eine Band wie uns noch nie ein Faktor gewesen. Bei Punk ist das für gewöhnlich auch nichts von dem man leben könnte. Die Einnahmen durch das Touren ermöglichen es uns, weiter zu machen und neue Musik zu schreiben. Wir touren wirklich hart. (lacht) Aber es macht Spaß. Wir lieben es.

Liam „Rory“ Clewlow: Wieviel Geld wir verdienen hängt wirklich davon ab, wieviel wir unterwegs sind. Wenn wir ein Album machen, dann gibt es natürlich Vorbestellungen. Wenn es dann veröffentlicht wird, sorgen sie dafür, dass wir in die Charts kommen. Aber die meisten Leute, die das Album kaufen sind natürlich unsere Fans. Und wenn dann jeder von ihnen schon eines gekauft hat, dann fällt das Album natürlich auch direkt wieder. Meistens schon nach einer Woche. Aber immerhin verdienen wir dann in dieser Woche so viel, dass wir nach Abzug der Kosten für die Produktion und ähnlichen Sachen selber eine Woche davon leben können. Man kann uns da nicht mit anderen Musikern vergleichen, die wochenlang in den Charts bleiben. Wir sind in einer komplett anderen Situation als sie.

MusikBlog: „The Mindsweep“ setzt den Kurs von „A Flash Flood Of Colour“ fort und zeigt euch stilistisch noch vielfältiger. Natürlich will man sich nie wiederholen. Hat euch der Erfolg von „A Flash Flood Of Colour“ ermutigt, noch mehr auszuprobieren?

Chris Batten: „A Flash Flood Of Colour“ hat uns eine Menge Selbstvertrauen gegeben. Es war das erste Album, bei dem wir nicht mehr das gemacht haben, was andere Leute von uns erwartet haben. Wir haben nur das getan, von dem wir dachten, dass es das Richtige für uns ist. Und das hat sehr gut funktioniert. Deshalb waren wir jetzt bei „The Mindsweep“ noch mutiger. Wir hatten das Vertrauen in uns, noch mehr experimentieren zu können.

Liam „Rory“ Clewlow: Wir sind älter geworden und unser musikalischer Geschmack hat sich natürlich auch geändert. Und das hat natürlich auch Einfluss auf die Herangehensweise an unsere Musik. Wir wollten einfach unterschiedliche Arten von Musik machen. Ich denke, das ist ein ganz natürlicher Prozess. Wir haben uns jetzt nicht hingesetzt und bewusst darüber nachgedacht. Es war ein sehr organischer Prozess. Wenn wir immer wieder das Gleiche machen würden, dann wäre es ziemlich langweilig für uns. Deshalb probieren wir immer frische, spannende neue Sachen aus.

MusikBlog: Gibt es bei „The Mindsweep“ so etwas wie ein übergeordnetes Konzept? Also ein Gesamtthema, das die Stücke zu einer thematischen Einheit zusammenfasst?

Chris Batten: Es geht im Wesentlichen darum, dass die Menschen, die an der Macht sind sehr oft neue Ideen oder Ideen, die einen Wechsel bringen könnten, einfach wegwischen oder blockieren. Sie lassen nur das zu, was ihre Macht weiter erhält. Bei „The Mindsweep“ geht es darum, diese alten Denkweisen wegzufegen und für neue Ideen offen zu sein oder alternative Möglichkeiten aufzeigen. Bei dieser Band ging es schon immer um Einheit gegen die Mächtigen. Und dieses Album macht da keine Ausnahme.

MusikBlog: Ich finde es ziemlich wichtig, dass es Bands gibt, die Stellung zu dem nehmen, was auf diesem Planeten in Politik und Gesellschaft geschieht. Im Moment passieren so viele schräge Sachen, die meiner Meinung nach auch viel stärker durch Musik kommentiert werden sollten. Euch mal ausgenommen, scheinen sich aber nur wenige Bands dafür zu interessieren.

Chris Batten: Wir sind eigentlich selbst sehr überrascht, dass es nicht mehr Bands gibt, die in ihren Texten gesellschaftliche Themen ansprechen. Und es gibt eine Menge davon, die man zur Sprache bringen könnte. Es laufen so viele wichtige und absolut beunruhigende Sachen in der Welt ab. Aber wie gesagt, es überrascht uns auch, dass das nicht stärker in der Musikszene präsent ist.

Chris Batten: Wir waren eigentlich schon immer Punk. Und beim Punk geht es darum, sich gegen die Unterdrücker aufzulehnen. Das ist absolut normal für uns. Ich denke, es ist für viele Menschen der einfachste Weg, sich einfach Scheuklappen aufzusetzen und alles andere, was in der Welt passiert, zu ignorieren. Wir hatten nie Angst davor, uns mit diesen Themen auseinander zu setzen.

MusikBlog: Glaubt Ihr, dass man durch Musik wirklich etwas verändern kann? Oder dass man zumindest einzelne Menschen dazu anregen kann, sich über irgendetwas Gedanken zu machen?

Liam „Rory“ Clewlow: Musik ist ein sehr guter Weg, um Ideen zu den Leuten zu bringen, denn sie zielt direkt auf das Herz. Sie spricht die Gefühle unmittelbar an. Es ist anders, als wenn Dir jemand eine Predigt halten würde. Nimm zum Beispiel religiöse Lieder. Sie waren schon früher immer ein sehr machtvolles Instrument. Ich will jetzt natürlich nicht sagen, dass wir die Leute zu unserer Religion bekehren wollen (lacht). Wir versuchen aber mit unseren Songs die Menschen dazu zu bringen, objektiv über die Welt nachzudenken. Das ihre Sicht der Dinge „Das ist alles absolut normal und deshalb muss es auch für mich absolut normal und richtig sein“ hinterfragen. Wir sagen ihnen „Tritt mal einen Schritt zurück und denk objektiv darüber nach“.

Chris Batten: Und stelle viele Sachen in Frage.

Liam „Rory“ Clewlow: Genau! Finde selber raus, was in der Welt vorgeht und akzeptiere, wie die Dinge wirklich laufen. Heute gibt es so viele Möglichkeiten, sich ablenken zu lassen. Alles will Deine Aufmerksamkeit, um Dir meistens irgendetwas zu verkaufen. Es wird einem ziemlich einfach gemacht, den Kopf in den Sand zu stecken und alles auszublenden, anstatt sich mit der Welt so wie sie gerade läuft auseinanderzusetzen.

MusikBlog: Ihr seid als Band jetzt schon seit zwölf Jahren zusammen. Und ihr habt über die Jahre wahrscheinlich schon x Millionen Kilometer im Tourbus zusammen verbracht. Wie würdet ihr euer Verhältnis zueinander umschreiben?

Chris Batten: Es ist inzwischen mehr Familie als Freundschaft. Wir kennen uns jetzt schon so lange und haben so viel Zeit miteinander verbracht. Wir sind inzwischen definitiv mehr Brüder als Freunde. Es war auch überhaupt nie der Gedanke da, dass es bei uns jemals anderes sein könnte. Wir sind keine von diesen Bands, deren Mitglieder sich ewig lang aus dem Weg gehen, wenn sie sich mal auf den Nerv gegangen sind. Das wäre bei uns nicht möglich. Das war’s nie und wird’s auch nie sein.

MusikBlog: Aber auch in Familien gibt’s mal Zoff. Wie geht ihr damit um, wenn’s bei euch mal donnert?

Liam „Rory“ Clewlow: Wenn mal jemand von uns aus der Haut fährt, dann ist das nie irreparabel. Natürlich gibt es auch schon mal Ärger. Aber wir beruhigen uns dann auch schnell wieder. Gehen mal eine Minute nach draußen und dann ist es auch schon wieder vergessen. Das passiert aber nicht oft. Aber bevor Chris gesagt hat, dass wir keine dicken Freunde wären, dachte ich eigentlich immer dass wir es wären. Das hat mich jetzt echt getroffen. (lacht)

Chris Batten: Brüder sind sich doch viel näher als Freunde, Rory! (lacht)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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