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Ich will nicht wie ein Alien klingen – Courtney Barnett im Interview

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und klingt so aufgeweckt und ungezähmt wie eine Horde Kids im Spielwarenladen auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer. Spontanität gehört für die Australierin Courtney Barnett ebenso zum guten Ton wie ein hohes Maß an Authentizität. Nach zwei EPs veröffentlicht sie nun ihr Debüt “Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit”, das sie im Schnelldurchlauf aufnahm. Warum es aber nicht immer so hektisch in ihrem Leben zugehen muss, verriet uns der sympathische Wildfang bei einem Gespräch unter vier Augen in Berlin.

MusikBlog: Passend zum Titel deines Debüts “Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit” hast du am heutigen Promotag bestimmt beides schon ausgiebig praktiziert. Was ist dein Lieblingsort, wenn du dich zum nachzudenken zurückziehen möchtest?

Courtney: Ich sitze am liebsten im Garten, der an mein Haus in Australien grenzt. Dort bin ich umzingelt von Obstbäumen und es gibt auch eine Menge Gemüse, das ich dort anbaue. Ich mag diesen Ort besonders, weil er so ruhig ist und ich dort zum Ausspannen komme. Es ist der optimale Platz, um einmal von all den Dingen wegzukommen, die einen für gewöhnlich ablenken. Im Garten habe ich keinen Laptop oder kein Handy bei mir, was sehr beruhigend auf mich wirkt.

MusikBlog: Du kannst deinen Arbeitsbereich demnach gut abgrenzen?

Courtney: Ja, das muss ich sogar. Gerade, weil ich meistens von zu Hause aus arbeite und ständig in irgendeiner Form vernetzt bin. Ich glaube, es ist schwer, überhaupt Momente im Alltag zu finden, in denen man wirklich zur Ruhe kommt. Selbst, wenn man versucht sich zurückzuziehen, fällt es einem schwer, abzuschalten und die Stille auf sich wirken zu lassen. Darum empfinde ich es zunehmend als angenehm, mir diese kleinen Momente freizuschaufeln, in denen ich bewusst die Ruhe genießen kann. Ich muss dafür aber nicht nur in meinem Garten hocken, sondern fahre auch einmal ein paar Stunden mit dem Auto in die Umgebung, wenn es geht.

MusikBlog: Welche Orte suchst du bei Ausflügen dieser Art auf?

Courtney: Es gibt südöstlich von Melbourne einen Nationalpark namens Wilsons Promontory, der mir sehr gut gefällt. Dort zieht es mich ab und zu hin, wenn ich genügend Zeit habe. Das Gebiet liegt direkt am Wasser und man braucht von der Stadt aus rund drei Stunden, um dorthin zu gelangen. Das ist gerade weit entfernt genug, um einmal rauszukommen und von allem Abstand zu gewinnen. Man sieht andauernd heimische Tiere in freier Wildbahn umherlaufen. Was mir am besten gefällt, ist aber die Tatsache, dass es dort kein Handynetz gibt. Vor Ort empfängt man überhaupt keine Signale. Das ist super! Ab und zu bekommt man dort auch einen Koala zu sehen. Er ist mit Abstand mein Lieblingstier. Der Koala und ich sind Seelenverwandte.

MusikBlog: In welcher Form seid ihr miteinander verbunden?

Courtney: Koalas haben so fluffige Ohren. Als ich meine Haare noch kürzer trug, kringelten sich die Enden auch immer so von meinen Ohren weg, was mich immer an die Ohren eines Koalas erinnert hat. Ich liebe diese kleinen Kerlchen einfach! Ich habe vor kurzem sogar einen adoptiert. Nun bezahle ich also 30$ im Monat und unterstütze damit einen von ihnen.

MusikBlog: Bist du im Allgemeinen ein sehr tierlieber Mensch?

Courtney: Ja, ich mag Tiere sehr gerne. Als es mir die Zeit noch erlaubte, hatte ich Katzen. Es wäre allerdings unfair von mir, zum jetzigen Zeitpunkt ein Tier zu haben, denn ich bin viel zu viel unterwegs und müsste es ständig in die Obhut andere Menschen geben. Das wäre nicht cool. Ich bin nun einmal ein Workaholic und stürze mich von einem Projekt ins nächste. Mein Kopf kann gar nicht anders und wäre am liebsten immerzu beschäftigt.

MusikBlog: Du hast dein Debüt innerhalb von nur zehn Tagen aufgenommen. Dabei hast du wahrlich kein Schneckentempo an den Tag gelegt. Diese Tatsache bestätigt deine Aussage von eben, ein Workaholic zu sein.

Courtney: Das stimmt. Trotz des straffen Zeitplans gab es aber auch während dieses Prozesses ein paar wenige Phasen, die eher langweilig waren und sich hinzogen. Vor allem, was technische Einstellungen betrifft. Sowas frisst immer mehr Zeit als man denkt. Dann sitzt man da und tut nichts ausser zu warten. Meistens nutze ich diese Momente aber, um mir bereits fertige Aufnahmen anzuhören. Oder ich schreibe neue Texte, denn das schiebe ich immer bis zur letzten Sekunde vor mir her.

MusikBlog: Was verleitet dich dazu?

Courtney: Ich bilde mir immer ein, dass mir noch etwas besseres einfällt. Ich weigere mich, meine Songs fertigzustellen. Ständig bin ich auf der Suche nach neuen Einfällen und Verbesserungen. Ich bemühe mich aber sehr, dann irgendwann doch zum Ende zu kommen.

MusikBlog: Treibt das die Crew um dich herum manchmal in den Wahnsinn?

Courtney: Meine Crew weiß mittlerweile, worauf sie sich einlässt. Daher ist es für sie keine große Überraschung, wenn ich Songideen umwerfe oder alles bis zum letzten Moment hinauszögere. Normalerweise bin ich aber ein sehr organisierter Mensch. Nur in kreativer Hinsicht funktioniert das nicht so bei mir. Da schiebe ich gerne alles vor mir her und warte bis zum letzten Moment mit meiner Entscheidung. Dabei verfalle ich jedesmal in panische Angst, nicht rechtzeitig fertigzuwerden, aber am Ende gelingt es mir meist doch.

MusikBlog: Du bist als Musikern schon viel auf der Welt herumgekommen. Was hat dich dazu bewegt, dein Debüt in deiner Heimat Australien aufzunehmen, anstatt dafür in die weite Welt hinauszuziehen?

Courtney: Ich wollte bei den Aufnahmen ungern weit von meiner Familie und meinen Freunden entfernt sein, weil ich ohnehin so viel auf Tour bin. Es war für mich eine Gelegenheit, mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Ich würde aber nicht ausschließen, dass es mich beim nächsten Album nach Übersee verschlägt. Das könnte durchaus abenteuerlich sein. Daheim fühle ich mich automatisch wohl, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es kreativ sinnvoll ist, sich weiter von diesem Ort zu entfernen, um sich neuen Herausforderungen zu stellen.

MusikBlog: Welche abenteuerlichen Erlebnisse gab es denn während der Aufnahmen deines Debüts?

Courtney: Für mich gab es gegen Ende der Aufnahmen eine Phase, in der ich einen Rappel von allem bekommen habe, also legte ich mich in einen Raum und versuchte dabei alles um mich herum auszublenden. Meine Füße waren gegen die Wand gestemmt und ich versuchte, den Text zum Song “Pedestrian At Best” fertig zu bekommen. Irgendwann gesellte sich dann mein Gitarrist zur mir, der auch wegen eines Telefonanrufs von Sorgen geplagt war. Da lagen wir also nebeneinander, abgeschottet von allen anderen, im Raum und ließen die Welt vor der Tür an uns vorbeiziehen. Hinterher kamen wir uns ein bisschen idiotisch vor, dass wir uns so verkrochen hatten, aber es hat uns dabei geholfen, wieder klar im Kopf zu werden. Wenn man ein Album aufnimmt, spielen die Emotionen manchmal ein wenig verrückt.

MusikBlog: Ist das auch ein Grund dafür, warum dein Debüt so forsch und teilweise roh klingt? Da scheint ebenso wenig herumpoliert worden zu sein.

Courtney: Genau! Wenn es nur nach mir gegangen wäre, hätte der Sound noch dreckiger geklungen. Immer, wenn ich mir ein paar der Aufnahmen anhörte, habe ich von unserem Produzenten verlangt, dass wir daraufhin noch wilder spielen und produktionstechnisch alles dahin tendiert, so schmutzig wie nur möglich zu wirken. Irgendwann wurde aber die Notbremse gezogen und mir mitgeteilt, dass wir am Limit angekommen waren. Hätten wir meinen Wunsch auf die Spitze getrieben, würden wir nun auf ein ziemlich schrecklich klingendes Ergebnis gucken. Das wurde mir dann später auch klar und ich habe den Studio-Leuten einfach mal vertraut. Jetzt haben wir etwas geschaffen, das sehr real klingt. Es war mir auch sehr wichtig, meine Stimme ohne irgendwelche Effekte zu hören. Ich will nicht wie ein Alien klingen!

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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