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Ich würde es hassen, als Star zu gelten – Fyfe im Interview

Fyfe ist nur ein kurzer Name, eine in sich gekehrte Seite, eben ein Bild unter vielen von dem englischen Elektroklangkünstler und Sänger Paul Dixon. Für sein introvertiertes Alter Ego, unter dessen Fittichen er das Debütalbum „Control“ nun herausbrachte, begibt sich der sympathische Musiker für einen vollgepackten Promotag in das bunte Berlin. MusikBlog sprach mit dem Tausendsassa – und verzeichnet ordentliche Künstler-Sympathiestempelchen im Sammelheft. Denn wer braucht schon zum besinnlichen Songschreiben eine (Major-)Geldmaschinerie im Rücken? Wer vermisst Stars, wenn man sich auch ohne ein Gesicht auf Musik  konzentrieren kann? Fyfe meint: er jedenfalls nicht. Zwischen einer Menge verlegenen Lachern, welche den typografischen Rahmen des Interviews sprengen würden, redet er mit uns über die böse Welt der großen Musikakteure, über die selbst ersuchte Einsamkeit und eine gewisse Abhängigkeit von Hörern.

MusikBlog: In Anbetracht der Tatsache, dass „Fyfe“ nicht Deine erste Alter Ego-Kreation ist: Würdest Du felsenfest behaupten, nun Deine Bestimmung als Künstler in diesem Namen gefunden zu haben, oder arbeitest Du dann doch lieber eher projektbasiert?

Paul: Ich liebe es ganz einfach an Namen zu arbeiten. Ich habe nämlich entdeckt, dass es mir eine Art kreativen Freiraum schafft. Unter meinem echten Namen zu arbeiten, das hätte mich irgendwie eingeschränkt – es wäre immer das, was ich mache, mit dem, wer ich bin von anderen in einen Zusammenhang gebracht worden. Noch weiß ich nicht so recht, ob ich mich im kreativen Sinne wirklich selbst gefunden habe, doch eine Facette und Seite meiner selbst, die definitiv.

MusikBlog: Eine Seite, welche es mit Fyfe weiter auszubauen gilt?

Paul: Ja, davon gehe ich aus. Ich habe mir zwar innerlich diesen an Namen gebundenen Freiheitsgedanken aufgebaut, doch ich denke, dass es mit Fyfe noch weiter gehen wird, und sei es für mindestens ein Album. Es hält mich ja nicht direkt davon ab, schon wieder etwas anderes zu tun. (lacht)

MusikBlog: Was wären denn die kleinen unkontrollierbaren, aber perfekten Umstände, die Dich Musik schreiben lassen, die so richtig Paul Dixon ist?

Paul: Vielleicht wäre ich ein besserer Künstler, wenn ich darauf direkt eine zufriedenstellende Antwort parat hätte. (lacht) Bei mir geht es aber vor allem darum, Grenzen auszuloten, etwas Neues zu probieren und zu schauen, was davon passt. Manchmal funktioniert eine tolle Sache auch nur einmal und verpufft danach recht schnell, das passiert nicht selten. Ich möchte also neue Wege finden, und das ist immer eine Herausforderung, lässt Dich aber auch zugleich für jegliche Optionen offen sein. Entsprechend wäre der perfekte Umstand, welcher Dich kreativ sein lässt, eine gewisse Offenheit den neuen Dingen gegenüber.

MusikBlog: Und doch scheint es, als würdest Du Dich bei aller Offenheit mit Hilfe Deiner Alter Egos von den Experimentalergebnissen abschotten, sprichst unter anderem von Fyfe in der dritten Person.

Paul: Das wiederum mag daher rühren, dass Fyfe für mich keine Person darstellt, sondern vielmehr ein Projekt. Man könnte Fyfe sogar als eine Art Band behandeln – ich bin eine Band für mich selbst. Doch ja, es stimmt, ich möchte mich damit selbst von meiner Musik distanzieren. Denn ich möchte erreichen, dass die Leute die Musik um ihretwillen hören und nicht, weil ich oder jemand anders diese speziell geschrieben habe. Für mich ist das wirklich wichtig. Wenn ich anderer Musiker Werke höre, versuche ich nicht, nach ihrer Persönlichkeit, sondern wirklich nur die Musik als solches zu beurteilen und zu fühlen.

MusikBlog: Und wenn man sich auf die gänzlich einlässt, kommt ganz unvermittelt das Gefühl hoch, dass Du Fyfe eine Art Tiefstatus zugestehst; Als würdest Du den Zuhörern das Gefühl geben wollen, dass sie völlig ebenbürtig sind, da auch Fyfe die alltäglichen Unsicherheiten plagen. Vom Startum und Celebrity-Kult hältst Du nicht allzu viel, richtig?

Paul: Richtig, ich habe wirklich Probleme mit diesem ganzen Celebrity-Gedöns. Ich würde es hassen, als Star zu gelten. Das kommt sicherlich durch, obwohl ich gar nicht einmal absichtlich an so etwas als sinntragendes Element gearbeitet habe. Aber es ist interessant, dass das den Hörern auf diese Art bewusst werden kann! In jedem Fall soll man direkt eine emotionale Verbindung aufbauen können. Ich liebe beispielsweise den Soul für seine Motive und versuchte, diese Motive in meine Musik zu packen. Obwohl ich damit nicht das typische R’n‘B-Schema abgreife, sollte die gleiche Emotion erweckt werden.

MusikBlog: Gibt dieser Tiefstatus Dir nicht bei einigen Songs das Gefühl, dass sie Dich völlig nackig dastehen lassen und verletzlich machen?

Paul: Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Das gesamte Album handelt von meiner Verletzlichkeit. Es ist irgendwie so, als würde das Schreiben an Fyfe mir erlauben, verletzlich zu sein. Zwar distanziere ich mich irgendwo emotional, doch gerade das bringt die Kreativität – und damit auch die Offenheit – ins Spiel. Vielleicht lässt es sich so hinter der Fiktion einfacher verstecken – und der Hörer, oder manchmal ich selbst, weiß nicht mehr so recht, was eigentlich aus dem wirklich tiefen Herzen kommt und was dazu stieß.

MusikBlog: Doch auch, wenn Du aus einer gewissen Distanz über Fyfe redest, hören sich die Songs auf „Control“ an, als hättest Du darin Deine Seele zum Schmelzen gebracht. Wieviel Eigenschmelz steckt denn wirklich in ihnen?

Paul: Ich habe einmal einen Artikel gelesen, welcher vom Bücherschreiben handelte. Und das Muster dahinter erschien mir sehr oft sehr gleich: Die meisten Autoren mischen ihre Stories, sodass teilweise echte und teilweise erfundene Inhalte zusammenkommen und Eins ergeben. Genau das ist es, was auch ich mache. Die Emotionen, wie die Liebe oder aber Trauer, die sind echt. Die Stories, welche ich drum herum webe, sind das nicht immer zwingend. Man könnte also sagen: Das Album ist zutiefst persönlich – und zutiefst fiktiv. Das Album ist ein Hybrid.

MusikBlog: Analog zur Buchschreiberei wissen Autoren auch oftmals schon das Ende einer Geschichte, bevor sie die ganze Story drum herum spinnen – hattest Du nach Deinem Majordebakel schon eine Vorahnung, wohin es mit Fyfe für Dich gehen sollte?

Paul: Ich muss gestehen: Ich hatte keine Ahnung, war mir der Richtung oder eines Konzeptes nicht wirklich bewusst. Von Anfang an habe ich das Album als ein Ganzes gesehen und hatte lediglich im Soundbereich erste Vorstellungen. Der erste Track, welchen ich daraufhin schrieb, ließ mich verstehen, wie ich ein nahtloses Ganzes schaffen kann. Das war „Solace“ – hier haben mich die Musik und Lyrics für alles Weitere inspiriert, „Solace“ hat dem Album gewissermaßen ein Thema gegeben.

MusikBlog: Dieses ganze Thema klingt dabei völlig anders, als jenes Album, welches Du als „David’s Lyre“ 2012 unter Major-Fittichen herausbrachtest. Was ziemlich auffällt: Das setzte noch auf konventionelle Drums und Instrumentation, auf typische Indie-Melodien und eine homogenere und weitaus fröhlichere Atmosphäre. Waren das Einflüsse, die ein Major so mit sich bringt, von dem und denen Du Dich nun bestimmt distanzierst?

Paul: Ich denke, dass diese ganze Geschichte mit dem damaligen Label mir vor allem eines beigebracht hat: Dass weniger mehr ist. Es braucht einfach nicht diese Geldmaschinerie, wenn Du Songs schreiben möchtest. Außerdem musst Du nicht zehn Instrumente in einen Mix werfen, um energisch zu wirken. Nach dieser Zeit habe ich mich mit meinen alten Lieblingsalben noch einmal hingesetzt und festgestellt, dass mir gerade das Simple an ihnen gefällt. Sie sind auf ihre eigene Art und Weise sehr clever und direkt, ohne dass dort gezwungenermaßen zu viel abläuft. Die wirkliche Basis legt ein wirklich guter Song. Der Rest kommt schon hinterher. Vielleicht hat mich diese ganze Sache natürlich auch ein wenig melancholischer gemacht, wer weiß. Denn auch das ist eine gute Sache, um gute Songs zu machen. (lacht)

MusikBlog: Wenn nicht das Arbeiten mit einer Geldmaschinerie im Rücken – was ist genau Dein Motor, Dein persönlicher Drive, die ganze Musiksache voranzutreiben?

Paul: Ich kann das noch nicht einmal genau benennen. Ich habe gefühlt irgendetwas in mir, das mich veranlasst, immer und immer Musik machen zu wollen. Das ist weder an- noch auszuschalten, es ist einfach da, scheinbar angeboren oder so. (lacht) Einige Leute spüren das vielleicht auch in sich. Andere haben den Antrieb, Geld machen zu wollen oder in der Politik zu wirken. Aber ich möchte einfach nur meine Musik machen.

MusikBlog: Begibt man sich nicht dennoch beim Komponieren in die Abhängigkeit zu zukünftigen Rezipienten und denkt, dass dieses oder jene Element mit Sicherheit gut ankommen würde, denn ausschließlich auf das eigene Herz zu hören?

Paul: Ich denke, dass sich niemand davon freisprechen kann, in Erwägung zu ziehen, wie die Leute die eigene Musik wohl empfinden würden. Das ist einfach ein Automatismus. Aber diese Sache ist keine, über welche ich mir am Ende des Tages mit einem Blatt Papier den Kopf zerbreche und nachdenke, wie ich das beste Hörerpotential aus einem Song schöpfen kann. Aber legen wir einmal die Hand auf das Herz: Ich bin wie jeder andere. Ich möchte auch meine Karriere in der Musikwelt einschlagen, die bestenfalls etwas länger als fünf Minuten andauert. Offensichtlich muss da also auch ein kleiner Gedanke in diese Richtung gehen, wie auch bei jedem anderen, der etwas für seinen Unterhalt kreiert.

MusikBlog: Ist das Bekanntwerden, oder aber das Unterhaltverdienen in der bösen Welt der großen Musikindustrieakteure eher eine Sache der harten Arbeit oder aber des Talents?

Paul: Manchmal ist es nichts von beidem, sondern einfach nur völliges Glück. Etwa, wenn Du jemanden kennst oder aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort bist. Es gibt eine Vielzahl an Leuten, die weitaus talentierter sind als ich und dieses Interview nicht führen. Das ist wirklich ein unfaires System. Andererseits gibt es auch nicht wenige Leute auf dieser Welt, die wirklich furchtbar sind und keinen Finger krümmen – das sind Superstars! Ich weiß nicht, wie so etwas kommen kann. Das Leben ist dahingehend wirklich komisch. Ich bin zumindest unfassbar dankbar, dass sich mir solch eine Chance eröffnet hat.

MusikBlog: Bei Ergreifung Deiner Chance nimmst Du Dich vieler melancholischer Keywords an. Da ist von dem Unverständnis anderer und Kontrollverlust die Rede – in welchen Belangen fühlst Du Dich denn missverstanden?

Paul: Ich denke, Songs wie etwa „Solace“ handeln davon, so richtig down zu sein – und das für eine recht lange Zeit der Isolation. „Solace“ soll etwas helfen, seinen Frieden darin zu finden – beispielsweise durch die Liebe. Leider ist das Isolierte gerade in unserer heutigen modernen Zeit mehr existent denn je. Wir haben eine große Community, schotten uns technisch aber immer mehr voneinander ab. Und gerade wenn Du realisierst, dass Du Dich eben nicht als einziger so einsam fühlst, sondern das eine ganze Masse in aller Natürlichkeit betrifft, fühlst Du Dich – so paradox das klingt – irgendwie nicht mehr so allein. In der Isolation aller existiert Kommunikation. Ein recht interessantes Ding, wenn man bedenkt, dass heutzutage alle 24/7 online sind, anstatt sich mit den guten alten Freunden auf ein Bier zu treffen.

MusikBlog: Und ich dachte schon, es sei eine allgemeine Musikerkrankheit, sich missverstanden und abgeschottet zu fühlen. Nach der These scheint gerade die Musik eine perfekte Plattform zu sein, sich über diese Gefühle auszulassen.

Paul: Ja, ich frage mich, ob das Kreativsein Dich vielleicht empfänglicher für die Kleinigkeiten macht und das Schreiben darüber damit Hand in Hand geht – und es eben mehr Songs darüber gibt, sich alleine zu fühlen, denn der absolute Hengst zu sein. Ich bin natürlich kein Hirnexperte, das überlasse ich lieber den anderen Herrschaften.

MusikBlog: Und was macht gerade für Dich die Musik zu einer perfekten Plattform?

Paul: Die Musik erlaubt es Dir, Dinge zu sagen, welche sich anders nicht ausdrücken lassen. Ich für mich zum Beispiel bin sehr oft und gerne allein. Ich spreche immerzu von der Einsamkeit – aber eigentlich suche ich diese auch irgendwo, das ist mein natürliches Habitat. Ich bin nicht der unfassbare Smalltalktyp. Gerade die Musik erlaubt es mir, mich dennoch auszudrücken, oder auch andere Leute darüber aus meiner Sicht auszudrücken: die Musik als Erleichterung.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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