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Maifeld Derby 2015

„Ganz schön viel Liebe hier“, raunt ein Röhrenjeansträger seinem nerdbebrillten Kumpanen recht verstohlen zu – und schielt dabei auf weitaus mehr, als die hier und da innig verschlungenen Pärchen: Wenn die Maimarkt-Gefilde Mannheims das fünfte Mal in Folge mit einem reizenden Line-Up locken, dann werden in romantischer Manier die bunten Blumenkränze gezückt, der urige Stallungscharme versprüht, die treuen Steckenpferde gesattelt; denn dann treffen sich all jene Musikliebenden, die ein schnuckeliges, kunterbunt zusammengestelltes und die wahren Perlen erlebbar machendes Festival zu schätzen wissen – Das macht 13.000 Maifeld Derby-Liebende in 2015.

Doch dass die Feinarbeit der Zusammenstellung eines anlockenden Musikfahrplans kein süßes Zuckerschlecken ist, bekamen die Veranstalter am eigenen Leib zu spüren. Ein halbes Jahrzehnt hat das Event auf seinem kleinen Buckel – und muss dennoch mit den ganz Großen der Businessbranche um namhafte Bands buhlen. Der Druck ist dabei alles andere als gering: Wer noch im Vorjahr mit wahren Diamanten à la The National, St. Vincent und Warpaint auffuhr, muss an einer verdammt hohen Messlatte ansetzen.

Die diesjährigen Thronfolger machen ihren Namen dabei alle Ehre: Nicht allein die im Schunkeln versunkenen, unfassbar vielen Paarkonstellationen strahlen zum Himmelschorleiter José González hinauf – einen jeden Zuhörenden berühren die flinke Virtuosität und samtige Stimme des solistischen Junip-Sängers zu später Stunde. Sowohl mit knackig-exotischer Percussion und zauberhafter Gesangsunterstützung, als auch alleinig mit der Klampfe im Arm rücken die Songs des Bartträgers in ein gediegenes Licht, welches verhältnismäßig wenig von der verschrienen Smartphonezückerei gestört wird. Stattdessen zeigen sich die paralysierten Fans insbesondere „Vestiges And Claws“-sicher.

Dass auch ordentliche Kracher-Headliner die Meute mitreißen können, bewies am Folgeabend das Archive-Kollektiv. Während die gebührende Durchschlagskraft des Openers mit einem viel zu leisen Sound ringen muss, schafft es insbesondere die treibende Rhythmusfraktion, die Melange aus elektronischen Elementen und jeglichen Post-Begrifflichkeiten zu einer enormen Soundwand hochzuziehen. Mogwai werkeln sogleich weiter an dieser Mauer, türmten sie gar weiter auf – und sorgten mit weitaus kraftvollerer Geräuschkulisse für direkte Beschwerden aus der Nachbarschaft.

Es scheint, als hätten sich eben jene betuchten Ortsansässigen zum großen Maifeld Derby-Finale in den Reihen der zeitlosen Róisín Murphy versammelt. Ein schwenkender Blick durch das prall gefüllte Zelt verrät nicht nur den weitaus höheren Altersdurchschnitt der Zuhörenden – es zeigt zugleich die Textsicherheit aller Anwesenden auf. In feinster trippgesteuerter Dancefloormanier nicken und wippen die Köpfe der enthusiastischen Entertainerin zu. Diese dankt der regen Anteilnahme mit einer Vielzahl Gaga-esker Bühnenoutfits und überschwänglichen Liebesbekundungen an ihre „Cuties“ und „Darlings“.

Doch abseits der Größen sind es vor allem die kleinen Perlen, nach denen es sich in den unweiten Tiefen des Geländes zu tauchen lohnt. Nach dem traditionellen Klangheimspiel Get Well Soons lockt der „Parcours d’amour“ etwa mit den zarten Klängen der irischen Newcomerin SOAK, welche neben der beschaulichen Sonnenuntergangs-Kulisse allein mit ihrer Gitarre und sich jeglicher Polemik entkleidender Songtexte das Publikum in den Bann zu ziehen wusste. Bedächtig lehnte man sich auf der Tribüne ganz weit nach vorne, um von der so verdammt verletzlichen, irgendwie unscheinbaren und doch Aura getränkten Frau an vorderster Front ein jedes Quäntchen sich gediegen ziehender Klampfenmelodien aufzusaugen.

Eben solche Bannkreise zog auch eine große Überraschung des Festivals mit sich: AURORA, ihres Zeichens blutjunge norwegische Singer-Songwriterin, war schlichtweg überwältigt von der Anteilnahme, die ihr für die großartige Performance entgegenschlug. Auf beiden Seiten wischte man sich verstohlen ein paar Wasserspritzer aus dem linken Augenwinkel, so berührend sind die verwobenen epischen Melodien, der beeindruckende Gesang und die authentische Handfuchtel-Darbietung der schüchternen und gerührt stotternden 17jährigen, welche vor lauter Spielfreude und Seifenblasenliebe in einer ausgelassenen Tanzerei endete. Die Talente- und Sympathie-Herzenspunkte gehen nach Norwegen!

Abseits der emotionalen Herzensangelegenheiten ist zudem der Trendsetter-Faktor des Maifeld Derbys abgedeckt: Ghostpoet heizt einem recht spärlichen, dafür jedoch anteilnehmenden Publikum ein, sonnenkalifornische Sounds lassen die wunderbaren Allah Las verlauten. Foxygen zücken ihre Schweißtücher für eine verstörende, energiegeladene Disko-Bühnenshow, welche ein Massenaufgebot an Nerven, den einen oder anderen Wein, ein verlorenes Mikrofon, oder aber inszenierte Streitigkeiten auf der Bühne involvierten. Wanda bekommen ganz viel „Amore“ und Gisbert zu Knyphausen, Children, Sizarr und viele andere zeigen neben internationalen must-see-Acts, was die deutsche Musikszene herzugeben imstande ist.

So bunt und stilsicher das Maifeld Derby zusammengestellt ist, so willkürlich lassen sie die Ereignisse zusammenfassen. Fakt ist: Es war wundervoll. Es war bunt. Es war laut, geschäftig, wolkig, heimelig und pferdig. Es bleibt nur noch eines zu wünschen: Dass das große Zerren um Bands einmal mehr zu Gunsten des Maifeld Derbys ausgeht – und potentielle Zugpferde imstande sind, im nächsten Jahr die Plätze vor der Bühne etwas dichter auszufüllen.

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