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Der Täter war immer das Schnitzel – PeterLicht im Interview

Popmusiker, Buchautor, Theaterschreiber, Hansdampf in vielen Gassen. Öffentlich und wieder nicht: Vom Indie-Klassiker “Sonnendeck” zu seinen geschickt rätselhaften Auftritten bei der Harald Schmidt-Show oder dem Ingeborg-Bachmann-Preis: PeterLicht hat eine wunderbar schrullige Sonderstellung im deutschen Kultur-Kosmos.  Nun also “Lob der Realität”, sein neues Live-Album und Buch. MusikBlog trifft PeterLicht bei Sonnenschein in einer schattigen Taverne in der Kölner Innenstadt.

MusikBlog: Hier in dem Café hast du doch dieses Promo-Foto gemacht, auf dem die ganzen Teller und Tassen um dich rumfliegen, oder?

PeterLicht: Genau.

MusikBlog: Für mich wirkte das wie ein charmant analoger Spezial Effekt.

PeterLicht: Ja und nein. Das Bild ist schon am Rechner zusammen gebaut. Aber die Tassen wurden einzeln geworfen und abfotografiert.

MusikBlog: Das hätte ich nicht gedacht. Und sind die kaputt gegangen?

PeterLicht: Nö, die sind heil geblieben. Das Geschirr vom Café Wahlen ist sehr robust.

MusikBlog: Wie würdest du denn die Figur PeterLicht beschreiben: Als dadaistischer Realist? Als nicht beschreibbar?

PeterLicht: Gar nicht schlecht. Deshalb heißen die beiden neuen Sachen [Buch und Album, Anm. der Red.] ja “Lob der Realität”. Weil das schon ein Ziel ist, die Realität gefasst zu bekommen. Nicht in irgendwelchen Traumwelten oder Utopien fernab durch die Gegend zu schweben, sondern dass man Dinge handfest und greifbar macht. Das war für mich die Auseinandersetzung mit dem Live-Album. Die Studio-Alben vorher waren alle ganz abstrakte Gebilde, weil man da diesen Raum im Studio betritt. Und jetzt ist es eben die Live-Platte. Es gibt reales Material, mit dem man da umgeht. Und daraus ergibt sich dann die weitere Frage: Wo fasst man jetzt das Reale? Was ist denn live? Was ist nicht live? Weil man da natürlich immer noch produziert und auswählt. Man kann betonen, dass viele Leute dagewesen sind, oder dass wenige Leute dagewesen sind. Und wie die mitgegangen sind. Insofern ist man hinterher dann doch wieder in einer sehr artifiziellen Welt. Es gibt keine Realität – das ist genau wie die Aussage dieser Platte. Die Realität ist gemacht und die wird gestaltet.

MusikBlog: Wie viel Improvisation steckt in Stücken wie „Mehrgeschossige österreichische Keller“? In Sätzen wie „Der Täter war immer das Schnitzel“ sehe ich eine surreale Verwandtschaft zwischen dir und Helge Schneider.

PeterLicht: Diese ganzen Live-Sachen sind spontan entstanden. Extrem freestyle. Das ist total in dieses Gefühl reingegangen. Bei dem Stück haben wir tatsächlich in Österreich gespielt. In Salzburg. An einem Sonntagabend. Für mich ist da dieses Bild: Österreich – Keller. Ich finde das immer eine interessante Frage: Was ist hier gerade los? Wo bin ich gerade? In der Zeit, als wir in Österreich waren, gab es diese ganzen furchtbaren Keller-Geschichten, insofern ist das dann so eine Variation mit den Schnitzeln.

MusikBlog: Die Gewichtung zwischen den Wortbeiträgen und der Live-Musik war wahrscheinlich ziemlich tricky, oder?

PeterLicht: Genau. Das war ein Riesen-Ding. Wir haben ein, zwei Jahre mit Mehrspur aufgezeichnet. Das war ein ziemlicher Wust. Auch von verschiedenen Auftritts-Formaten. Momentan spiele ich ja nur im Duo. Das ist auch auf der Platte drauf. Aber ebenso die verschiedenen anderen Band-Versionen: große Band, kleine Band.

MusikBlog: Warum wollte die Plattenfirma das Live-Album nicht rausbringen? Penunze?

PeterLicht: Ja, Penunze. Motor haben gesagt: Das lohnt sich nicht. Das wollen wir nicht machen. Aber sie haben das dann doch zumindest genehmigt.

MusikBlog: Wie war das für dich, als du das Album dann über Crowdfunding finanziert hast?

PeterLicht: Das war sehr anstrengend, hat sich aber sehr gut angefühlt. Das war auch ein Lob der Realität, dass das funktioniert hat. Das war so eine Öffnung, dass man direkt mit den Leuten zu tun hat, die das interessiert. Dann ist da eben die erstaunliche Erkenntnis, dass die Technik, die eigentlich dafür sorgt, dass so etwas nicht mehr verkauft werden kann, dazu beiträgt, dass es doch zustande kommt. Ich bin jetzt kein Internet- und Crowdfunding-Jubler, aber das fand ich schon gut.

MusikBlog: Ich träume ja immer noch von einer utopischen Gesellschaft wie der in “Star Trek – The Next Generation”.

PeterLicht: Yes!

MusikBlog: Das Geld ist abgeschafft, und alle machen das, was ihren Talenten entspricht und gut für das Gemeinwohl ist. Wie sieht die ideale PeterLicht-Gesellschaft der Zukunft aus? Und wie wird es wahrscheinlich wirklich mit der Menschheit weitergehen?

PeterLicht: Puh. Antwort darauf sollten meine Sachen geben. Sowohl das Buch “Lob der Realität” als auch das Album. All die Inhalte und verschiedenen Stimmen, die da unterwegs sind. Ob das dann die positive Utopie ist, das wage ich zu bezweifeln. Es ist eher eine Beschreibung oder Auseinandersetzung mit dem Begriff “Realität”. Aber jetzt hier zu sitzen und eine richtige Utopie zu formulieren… (Pause) Klar, diese Beschäftigung damit: Deshalb singt man Lieder. Dass man sich in andere Zustände reinbegibt oder sich Gedanken macht über die Welt. Aber das ist dann in dem Material drin und kriegt dann auch den Sound und fliegt so daher.

MusikBlog: Ich sehe die Zukunft der Menschheit leider nicht so rosig.

PeterLicht: Ja, es ist momentan schon sehr “hyper”. Flirrende Nerven überall. Überall ist man auf der Suche, etwas zu spüren. Es muss immer mehr gemacht werden, um was zu spüren. Also nicht gerade entspannt.

MusikBlog: Ist “entspannt” ein Zustand wo Du hin möchtest oder wo du bist?

PeterLicht: Wo ich nicht bin. Ich versuche, mich da hinzubewegen.

MusicBlog: Es wird einem ja immer schwerer gemacht, entspannt zu sein. Vielleicht macht man es sich ja selber immer schwerer.

PeterLicht: Ja, das kenne ich. Diese Spiralen…

MusikBlog: In den letzten zehn Jahren ist die Debatte um das Recht auf Privatsphäre immer stärker hochgekocht. Auch wenn es vielleicht nicht so gedacht war, bist du doch so ein Vorbild für eine öffentliche-nichtöffentliche Person. Wie schwierig ist es, als Künstler in Deutschland zugleich öffentlich zu sein und dennoch sein Gesicht nicht zeigen zu wollen?

PeterLicht: Das ist ein Drahtseilakt. Mir geht es gar nicht darum, dass ich mein Gesicht nicht zeige – das zeige ich – live und im Netz. Es ist natürlich die Quadratur des Kreises: Ich möchte Öffentlichkeit, öffentlich sein. Ich möchte Sachen veröffentlichen. Alben, Bücher. Und ich tue das auch gerne. Die sollen draußen sein und ihr Gesicht bekommen. Gerade deshalb finde ich es gut, das so zu machen. Weil für mich da dieser Widerspruch drinsteckt. Indem man Songs schreibt, die von inneren Welten handeln und man sich dann überlegt: Was zeigt man? Was zeigt man nicht?

MusikBlog: Hattest du denn an andere visuelle Konzepte wie Masken oder Roboter gedacht?

PeterLicht: Nö. Also, ich finde dieses Thema ist für mich durch. Das ist auch kein Thema, an dem ich irgendwie hänge.

MusikBlog: Das heißt, wenn jetzt Fotos von dir im Netz auftauchen ist es eigentlich wurscht?

PeterLicht: Ist egal. Es gibt mittlerweile so unfassbar viele Bilder, die unterwegs sind. Und jedes Bild, das es gibt, versendet sich wieder.

MusikBlog: Platten, Bücher, Theater. Woher nimmst du die Energie, so viel Zeug rauszuhauen?

PeterLicht: (Pause) Die Texte entstehen dadurch, dass ich lebe. Leben ist meine Energie. Aber klar, man merkt auch, dass die Energie nicht unendlich ist. (lächelt)

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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