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Ich finde es wichtig, zugänglich zu sein – Those Goddamn Hippies im Interview

Als Schlagzeuger hat Tom Marsh bereits ein knappes Jahrzehnt Erfahrungen in verschiedenen Bands gesammelt, sich die Finger weltweit bei Shows wund gespielt und im wahrsten Sinne des Wortes den Takt angegeben. Nachdem er bereits in London und Berlin lebte, hat er vor ein paar Jahren seine Zelte in Wien aufgeschlagen und nun sein erstes Solo-Projekt namens Those Goddamn Hippies ins Leben gerufen. Dafür räumt er seinen Platz hinter dem Schlagzeug und greift stattdessen lieber zur Gitarre und dem Mikrofon. Die selbst betitelte EP ist vor wenigen Tagen erschienen. Auf dieser verbindet der gebürtige Engländer eine feinsinnige und detaillierte Klangästhetik, die zwischen elektronischer Weite und organischem Handwerk liegt. Wir trafen den Kopf der Those Goddamn Hippies anlässlich seines Tourstopps in Berlin nicht auf einer Wiese mit Blumen im Haar, sondern im urbanen Umfeld eines Cafés, in dem die einzig konsumierte Droge die Kaffeebohne blieb.

MusikBlog: Wer sind denn eigentlich diese gottverdammten Hippies?

Tom Marsh: Die Hippies? Das sind wir. Als Jugendlicher hatte ich verschiedene Phasen. Ich war eine Zeit lang als Goth, aber war auch als Hippie unterwegs. Nur das mit den selbstgemachten Dreadlocks hat nicht so gut bei mir funktioniert. Durch das Bienenwachs sah es eher so aus als hätte ich krasse Schuppen! Meine Mutter war enttäuscht von mir, dass ich das gemacht habe. Mein Statement auf dem Kopf ging also erst einmal in die Hose. “Goddamn” benutze ich in dem Fall nicht als Schimpfwort, sondern es drückt einfach aus, was wir als Hippies jetzt schon wieder anstellen. Im Bandnamen schwingt nicht so viel Ernsthaftigkeit mit, wie man vielleicht denkt. Ich brauchte einen Namen, um wirklich mit meiner Musik anzufangen. Ebenso war es auch mit den Songs.

MusikBlog: Hippies stehen für “Love & Peace” – für was steht dieses Projekt?

Tom Marsh: Im Grunde genommen stehen wir für dieselben Werte. In Dresden hat sich ein Promoter letztens bei mir beschwert, dass ich “zu nett” bin.

MusikBlog: Habt ihr nach der Show etwa alles zu sauber hinterlassen?

Tom Marsh: Ja, und ich habe noch sein Auto gewaschen. Ok, das war ein Witz! Mir ist es einfach wichtig, am Boden zu bleiben und jeden respektvoll zu behandeln, mit dem ich zu tun habe. Oftmals herrscht zum Beispiel in der Fan-Künstler-Beziehung ein starkes Ungleichgewicht. Das habe ich schon immer als unangenehm empfunden. Ich finde es sehr wichtig, zugänglich zu sein.

MusikBlog: Du warst jahrelang als Schlagzeuger in anderen Bands tätig. Nun hast du dein eigenes Projekt und rückst sowohl als Songwriter als auch als Sänger in den Vordergrund. Wie war diese Umstellung für dich?

Tom Marsh: Ich habe schon länger Songs geschrieben und mich mit elektronischer Musik auseinandergesetzt. Es war nicht so, dass ich als Schlagzeuger plötzlich unzufrieden mit dem war, was ich gemacht habe. Ich hatte nur irgendwann das Gefühl, gerne in einem anderen Rahmen Musik machen zu wollen. Also bin ich vorsichtig mit meinen Demos zu einem Freund von mir gegangen. Es war kein schmerzhafter Prozess für mich, denn ich bin langsam Stück für Stück in diese für mich neue Richtung gegangen. Nichts von alldem war erzwungen. Dann stand ich plötzlich in einem Raum voller Leute, spielte ein Konzert und wir drehten ein Live-Video. Das war der Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich dabei war, wirkliches etwas Neues anzufangen. Zuerst war es etwas ungewohnt, vorn auf der Bühne zu stehen, aber die Umgebung selbst war mir als Musiker ja nicht fremd, so dass ich mich bald sicherer gefühlt habe.

MusikBlog: Ist es dir schwer gefallen, die Drumsticks aus der Hand zu legen?

Tom Marsh: Das Schlagzeugspielen war meine erste große Liebe. Daher ist es ein wenig komisch, das in diesem Projekt nicht zu tun und mich auf andere Sachen zu konzentrieren. Ich vermisse es, hinter dem Schlagzeug Platz zu nehmen und drauflos zu spielen. Meine Laune ist definitiv eine andere, wenn ich drei Monate am Stück kein Schlagzeug spiele. Andererseits ist es schön, mich mit Those Goddamn Hippies künstlerisch mit anderen Mitteln auszudrücken. Ich beschäftige mich mit ganz anderen Aspekten und genieße es, die verschiedenen Songs auszuarbeiten. Die Herausforderung ist eine ganz andere, aber genau das gefällt mir daran.

MusikBlog: Funktioniert der Zugang zu deinen Songideen für dich in erster Linie über die Rhythmik oder hat deine Vergangenheit als Schlagzeuger keinen so großen Einfluss, wie man vielleicht meinen könnte?

Tom Marsh: Doch, die Songs basieren in ihrer Anfangsphase schon sehr auf verschiedenen Beats und werden ausgehend davon weiterentwickelt. Dabei habe ich meist schon zu Beginn eine sehr klare Vorstellung von ihrer klanglichen Ästhetik.

MusikBlog: Gehört zu dieser Vorstellung für dich auch der Vorsatz, selbst als Sänger in Erscheinung zu treten?

Tom Marsh: Zunächst habe ich selbst nicht geplant ,zu singen, aber dann hatte ich Songtexte zu meiner Musik und habe keinen Sinn darin gesehen, es nicht zu tun. In meiner Familie haben wir sehr oft gemeinsam gesungen, so dass ich es nicht als unnatürlich empfunden habe, auch auf meinen eigenen Songs zu singen. Egal, was für ein Instrument du spielst, kaum etwas fühlt sich so echt an wie die eigene Stimme. Ich würde niemals von mir behaupten zu singen, weil ich das am besten kann. Ich tue es einfach, weil es sich im Gesamtbild stimmig anfühlt.

MusikBlog: Worauf kam es dir hinsichtlich des Sounds am meisten an, als du an deiner EP gearbeitet hast?

Tom Marsh: Die Songs der “Those Goddamn Hippies EP” sind alle in Wien entstanden. Ich habe dafür mit einem guten Freund von mir zusammengearbeitet und die Stücke selbst produziert. Dabei war es mir wichtig, nicht nur über den Laptop und mithilfe von Musikprogrammen an den Songs zu arbeiten, sondern auch den organischen Aspekt zu berücksichtigen, der letztendlich alles miteinander verbindet. Ich wollte, dass in den Songs Platz für Menschlichkeit bleibt und nicht alles so klingt, als wäre es digital in einer Box entstanden. Es war mich wichtig, etwas zu schaffen, das am Ende nicht plastisch klingt.

MusikBlog: Gibt es eine Sound-Ästhetik, die dir für deine Arbeit an diesem Projekt zuwider war und du auf keinen Fall bedienen wolltest?

Tom Marsh: Ich wollte nicht zu sehr nach den 80s klingen, denn ich habe scheinbar eine Tendenz dazu. Schon früher habe ich Freunden von mir Demos geschickt und sie fanden oft, dass es dem Sound der 80er ähnelte. Damals habe ich mich aber auch noch nicht so intensiv mit den verschiedenen klanglichen Möglichkeiten auseinandergesetzt wie heute. Deswegen habe ich nicht ernsthaft befürchtet, dass meine jetzige EP wieder danach klingen würde. “Given To The Wild” von The Maccabees ist zum Beispiel eine Platte, deren klangliche Ästhetik mir unheimlich gut gefällt. Alles darauf ist sehr geschmackvoll und dynamisch.

MusikBlog: Was hat dich davon abgehalten, ein klassischer Singer-Songwriter zu werden?

Tom Marsh: Wahrscheinlich meine begrenzten Fähigkeiten auf der Gitarre! Nein, mal im Ernst – ich bin sehr froh, dass ich nicht diesen Weg gegangen bin und nun alleine mit meiner Gitarre auf der Bühne stehe. Es wäre schade gewesen all die Möglichkeiten, die mir die elektronische Musik bietet, auszublenden und meine Aufmerksamkeit nur einem Instrument zu widmen. Es macht mir so viel Spaß, immer mehr ein Gefühl für die verschiedenen Sounds zu entwickeln. Natürlich ist es praktischer, wenn man ganz klare Linien für sich zieht, aber mir würde die Abwechslung und der Reiz fehlen, mich auf ganz viel Neues einzulassen.

MusikBlog: In vielen deiner Songs schwingt spürbar Melancholie mit. Bietet diese dir generell mehr Raum, dich zu entfalten?

Tom Marsh: Ich frage mich manchmal, ob es egoistisch von mir ist, wenn ich auf der Bühne stehe und meine Emotionen mit anderen Menschen teile. Immerhin geht es in meinen Songs um mich und meine Gefühle und nicht um wirklich alltägliche Dinge. Ich kann als Songwriter nur das aus mir heraus lassen, was mich innerlich beschäftigt. Es ergibt für mich keinen Sinn, über etwas zu schreiben, das nicht in irgendeiner Form mit meinem Leben verbunden ist. Ich könnte mich niemals zwingen, auf eine andere Art und Weise Texte zu schreiben.

MusikBlog: Warum ist Wien ein guter Ort, um deine musikalischen Ideen in die Tat umzusetzen?

Tom Marsh: Ich kann in Wien vor allem in Ruhe arbeiten. Es ist zwar auch eine Großstadt, aber ich habe dort zum Beispiel nicht so viele Freunde wie in Berlin, wo ich auch lange Zeit gelebt habe. Wenn man an einem Ort ist, an dem man freundschaftlich so stark vernetzt ist, fühlt man sich automatisch dazu verpflichtet, mehr unter Leute zu gehen und sich mit seinen Freunden zu treffen. In Wien passiert es manchmal, dass ich eine Woche lang niemanden treffe und dadurch sehr konzentriert arbeiten kann. Es ging mir in Wien nicht primär darum, mir gleich nach meiner Ankunft einen riesigen Freundeskreis aufzubauen. Ich wollte mich einfach auf meine Musik konzentrieren und das hat auch sehr gut funktioniert. Meine Zeit in Berlin war sehr prägend für mich und ich fühle mich dort immer noch sehr zu Hause, wenn ich da bin. Vielleicht brauchte ich aber die nötige Ruhe in Wien, um all meine dort gesammelten Erfahrungen überhaupt verarbeiten zu können.

MusikBlog: Was sind die größten Unterschiede, denen du im direkten Vergleich zwischen Berlin und Wien begegnet bist?

Tom Marsh: Man kann als ausgebildeter Musiker in Wien gutes Geld verdienen, wenn man in Cover-Bands oder dergleichen spielt. In Berlin gehen die Musiker lieber in einer Bar arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren und trotzdem ihrer Leidenschaft nachgehen zu können. Ich habe es teilweise als sehr schwer empfunden, in Wien persönliche und musikalische Verbindungen zur den Musikern vor Ort aufzubauen. Es ist nicht so einfach, auf Leute zu treffen, die viel Zeit in ein Projekt investieren, von dem man am Ende des Tages nicht seine Miete bezahlen kann, wenn es in Wien eben auch anders geht. Du kannst dort auf einer Hochzeit spielen und an einem Abend hunderte von Euros verdienen.

MusikBlog: Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt, Berufsmusiker zu werden?

Tom Marsh: Mit siebzehn habe ich das Angebot bekommen, in Frankreich mit einer Cover-Band zu spielen. Danach habe ich mir geschworen, das niemals wieder zu machen. Es war eine schreckliche Erfahrung. Ich sollte innerhalb von zwei Wochen vierzig Songs lernen und mich dann in einen Flieger nach Nizza setzen, um mit einer Band auf Tour zu gehen. Das Schräge daran war, dass jedes Konzert wirklich gut besucht war. Jeden Abend spielten wir vor einem Haufen Leute und der Sänger hat den Rockstar gegeben. Das hat für mich überhaupt keinen Sinn gemacht, denn ich war vom Gefühl her nicht dabei. Ich verstehe aber schon, dass es Musiker gibt, die lieber auf der sicheren Seite sein wollen. Für mich wäre ein Job in dieser Form aber nichts. Ich behalte meine kreative Energie lieber für meine eigenen Projekte.

MusikBlog: Wann können wir nach der EP nun mit einem Album rechnen?

Tom Marsh: Der Plan ist, dieses Jahr noch das Album fertig zu veröffentlichen. Wir spielen ohnehin schon viele Stücke im Live-Set, die deutlich machen, dass wir mehr als nur die Songs der EP haben. Insgesamt habe ich ungefähr dreißig Lieder, die bereits halb fertig sind. Der Zeitdruck ist groß, aber ohne ihn geht es auch nicht. Jetzt, wo ich eine genaue Vorstellung davon habe, wo es klanglich mit diesem Projekt hingehen soll, geht es hoffentlich schneller, alles in die Tat umzusetzen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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